Orthodoxe Bibliothek

  1. Vertont von Markus Hilker

     

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  2. Übersetzt von Erzpriester Sergius Taurit

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  3. Neue Heimat Deutschland

    Mit inzwischen deutlich über zwei Millionen Gläubigen[1] ist die Orthodoxie in Deutschland jetzt nicht nur die drittgrößte christliche Konfession, sondern weist auch mehr Mitglieder auf als etliche der autokephalen Kirchen in Mittel- und Osteuropa.[2] Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings darin, dass die orthodoxen Christen in Deutschland in ihrer überwiegenden Mehrzahl Zuwanderer maximal der letzten fünfzig, zumeist sogar nur dreißig Jahre sind, sie also erst in der ersten oder zweiten Generation hier leben, und sich auf zehn kanonische[3] Diözesen[4] der jeweiligen Heimatkirchen[5] verteilen.[6]

    Dabei unterliegt es keinem Zweifel mehr, dass die ganz große Mehrzahl der heute in Deutschland lebenden Orthodoxen dieses Land inzwischen nicht mehr nur als einen vorübergehenden Aufenthaltsort, sondern als feste Wohnstatt, als neue Heimat angenommen hat, es freiwillig nicht wieder zu verlassen gedenkt und sich hier eingerichtet hat. Im „Brief der Bischöfe der orthodoxen Kirchein Deutschland an die Jugend“ vom Dezember 2017 heißt es entsprechend in Punkt 1: „Wir leben in einem Land, in dem der Einzelne die Möglichkeit hat, sich in Freiheit und Menschenwürde zu entfalten. … Die Tatsache, dass wir in Deutschland leben, wo Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte zum Allgemeingut gehören, können wir als Segen Gottes betrachten“.[7]

    Während es sich im Gegensatz zu heute bei den ersten beiden großen Wellen orthodoxer Zuwanderung nach Deutschland im 20. Jahrhundert[8] um Menschen handelte, die entweder als Flüchtlinge – sei es nach der bolschewistischen Machtergreifung in Russland 1917 oder im Laufe des II. Weltkrieges - oder als Gastarbeiter (vor allem aus Griechenland und dem damaligen Jugoslawien) in den 60-er Jahren des vorigen Jahrhunderts ihr Gastland, zumindest anfangs, so schnell wie möglich wieder verlassen wollten, um in ihre Heimat zurückzukehren, kamen ab 1990 nach dem Sturz der kommunistischen Regime in Ost- und Südeuropa immer mehr orthodoxe Christen nach Deutschland, um dort eine neue Heimat zu suchen - und sie auch fanden. Mit Ausnahme der Flüchtlinge aus dem postjugoslawischen Bürgerkrieg und in jüngerer Zeit vor dem islamischen Terror im Nahen Osten sind sie ja nicht der unerträglichen Situation politischer Verfolgung entkommen, sondern haben sich, zum Teil unter Nutzung ihrer deutschen oder jüdischen[9] Wurzeln, bewusst nach Deutschland begeben, um dort bessere Lebensbedingungen zu finden. Auch die Gastarbeiter, die ursprünglich nur einen zeitlich befristeteten Aufenthalt zur Gewinnung einer finanziellen Basis für das Leben in der Heimat intendierten, gliederten sich immer mehr in die deutsche Gesellschaft ein, gründeten hier selbst Unternehmen, erwarben Besitz und verwurzelten sich zunehmend. Sie alle sind eindeutig, wie es im Vorwort der Übersetzungskommission der Göttlichen Liturgie ins Deutsche treffend heißt, „keine zeitweiligen Gäste mehr, sondern Bürger dieses Landes, in dem sie auch immer tiefere sprachliche Wurzeln schlagen.“[10]

    Das gilt natürlich vor allem für die zu einem erheblichen Teil schon in diesem Lande geborene oder zumindest dort aufgewachsene jüngere und jüngste Generation der Orthodoxen in Deutschland, die das deutsche Schul- und teilweise Hochschulsystem durchlaufen hat, zahlreiche persönliche Kontakte pflegt und generell immer mehr in die hiesige Gesellschaft hineinwächst. Schule, Ausbildung, Berufsleben, Mischehen tragen dazu bei, dass die jungen Generationen in vielem denselben Einflüssen wie ihre nicht-orthodoxen Altersgenossen unterliegen, Einflüssen, die sich allerdings nicht immer problemlos mit dem orthodoxen Glauben, der orthodoxen Ethik und ihren traditionellen Werten, vor allem im Blick auf Ehe und Familie und der Kultur der Herkunftsländer der Eltern und Großeltern vereinbaren lassen.[11]

    Etliche dieser Aspekte werden in pastoraler Weise in dem schon erwähnten „Brief der Bischöfe der orthodoxen Kirche in Deutschland an die Jugend über Liebe – Sexualität – Ehe“ von 2017 angesprochen, so etwa: „In einer pluralen Gesellschaft wie Deutschland sind Ehen zwischen Orthodoxen und anderen Christen keine Seltenheit. … Solche Ehen haben in den letzten Jahrzehnten zu Begegnungen und gegenseitigem Kennenlernen beigetragen“.[12] Als Fazit wird dort herausgestellt: „In der Gesellschaft, in der wir leben, finden ständig Veränderungen statt. Jene, in denen wir den Geist des Evangeliums Jesu Christi erkennen, begrüßen wir. Auch die traditionelle Familie steht heute vor radikalen Herausforderungen. Getreu dem Wort des Apostels Paulus an die Thessalonicher ‚Prüft alles und behaltet das Gute!’ (1 Thess 5,21) sind wir alle, liebe junge orthodoxe Christen, stets neu dazu aufgerufen, das Menschenbild unseres orthodoxen Glaubens zu vertreten, und vor allem zu leben. Das Wort von der Familie als ‚Kirche im Kleinen’, die Urzelle der Kirche in ihrer Gesamtheit ist, ist für uns nach wie vor zukunftsweisend.“

    Dabei kann man allerdings nicht die Augen davor verschließen, dass in etlichen Familien der Prozess der Beheimatung in Deutschland auch mit Problemen, auch einem Generationenkonflikt verbunden ist. Wie schon oben erwähnt, ist die überwiegende Mehrheit der orthodoxen Christen oder ihre Familien erst in den letzten maximal fünf Jahrzehnten nach Deutschland gekommen. Auch wenn sie hier ihre neue Heimat gesucht und zumeist auch schon gefunden haben, bleiben andererseits besonders für die Migranten der ersten und zweiten Generation die realen und emotionalen Bindungen an die alte Heimat noch stark, gerade in der heutigen Zeit, in der dank Internet und verbesserter Reisemöglichkeiten ein ständiger Kontakt zu den Heimatländern möglich ist, während für die in Deutschland Geborenen die Prägungen durch dieses Land und seine gesellschaftlichen Gegebenheiten naturgemäß zunehmend stärker, aber eben nicht immer mit den Normen der orthodoxen Moral und allgemein den heimischen Familientraditionen problemlos vereinbar sind.[13]

    Insofern kann man die derzeitige Lebenssituation vieler orthodoxer Christen in Deutschland als eine – manchmal fruchtbare, gelegentlich aber auch problembeladene – Spannung zwischen alter und neuer Heimat, aber auch zwischen eigener orthodoxer und säkularer gesellschaftlicher Lebensweise charakterisieren und als Aufgabe der nächsten Jahrzehnte, diese Spannung zu einer tragfähigen Basis für die Zukunft zu führen, bei der zahlreiche Aspekte wichtig sind, von denen hier einige, allerdings keineswegs alle, angesprochen werden können.

    Ethnische Vielfalt in einer Kirche

    Es ist jedem Orthodoxen bewusst, dass die – derzeit fünfzehn – autokephalen lokalen orthodoxen Kirche in aller Welt zusammen die „Eine Heilige Katholische und Apostolische Kirche“, die er im Glaubenssymbolon bekennt, bilden und dass er zusammen mit allen anderen orthodoxen Brüdern und Schwestern im Glauben zu eben dieser einen übernationalen weltweiten Orthodoxie gehört.

    Das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu dieser in der Familie der verschiedenen Lokalkirchen realisierten Einen Orthodoxen Kirche wird dabei jedoch in erster Linie durch die Zugehörigkeit zur jeweiligen lokalen Kirche der alten Heimat und ihrer für Deutschland zuständigen Diözese realisiert: Die Sprache der Kommunikation untereinander und vor allem die der Gottesdienste und die dazugehörige Musikform, zahlreiche lokale Bräuche und Traditionen spielen dabei eine wichtige Rolle für die Praxis des Glaubens[14] - auch unter den orthodoxen Christen in Deutschland, die zumeist in ethnisch überwiegend einheitlichen Bistümern und deren Gemeinden ihren allen gemeinsamen Glauben leben. So finden wir denn auch in den großen Städten in der Regel ethnisch, nicht regional unterschiedene Pfarreien: griechische, arabische, russische, serbische, rumänische, georgische, bulgarische usw., die den gleichen orthodoxen Glauben teilen und in denen auch ein weitestgehend gleicher Gottesdienst gefeiert wird, aber eben in unterschiedlichen liturgischen Sprachen mit verschiedenen musikalischen Traditionen und teilweise auch variierenden Frömmigkeitsformen, die von den Gebräuchen der alten Heimat geprägt sind.[15]

    Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang sicher auch, dass zwar viele Gemeinden auch einige ethnische einheimische[16] Deutsche unter ihren Mitgliedern haben, die den Weg in die Orthodoxie gefunden und diese angenommen haben (manchmal durch ihre Ehepartner, doch nicht selten auch durch ihre eigene religiöse Entwicklung[17]), es aber nur fünf relativ kleine offiziell deutschsprachige orthodoxe Gemeinden in Deutschland gibt.[18] Jede von ihnen hat auch kaum mehr als 100 Gläubige, und selbst wenn man von durchschnittlich zwanzig Deutschen pro Gemeinde ausgeht, stellen diese zusammen kaum mehr als ein halbes Prozent aller orthodoxen Christen im Lande dar. Allerdings finden sich deutsche Konvertiten gerade unter den aktivsten Gemeindemitgliedern.

    In einer Reihe weiterer Gemeinden, die nicht offiziell als deutschsprachig benannt sind und wo auch nur relativ wenige ethnische Deutsche Pfarrmitglieder sind, gibt es jedoch ebenfalls einen – deutlich wachsenden - Anteil an Gottesdiensten oder zumindest Teilen von ihnen in deutscher Sprache. Generell aber gilt derzeit noch für die meisten Kirchen, dass die Gottesdienste (und oft auch die Predigt) ganz bis weitaus überwiegend in Griechisch, Russisch, Serbisch usw. gehalten wird, also in  der Sprache der alten Heimat.

    Dies dürfte sich allerdings – zumindest im Hinblick auf die Verkündigung und Katechese – in absehbarer Zeit deutlich ändern, wenn mehr und mehr Geistliche geweiht werden, die bereits in Deutschland aufgewachsen oder sogar schon dort geboren sind. Bislang ist dies aber noch die Minderheit.[19] Dabei ist jedoch unter dem Klerus einzelner orthodoxer Bistümer die Zahl der deutschen Geistlichen deutlich höher als unter den Gläubigen, liegt nämlich etwa 5-10%, variiert allerdings stark von Diözese zu Diözese: So sind beispielsweise unter den 79 Geistlichen der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland (5 Bischöfe, 71 Priester und zwei Diakone)[20] neben 72 Griechen lediglich 4 Rumänen und 3 Deutsche. Unter den 27 Geistlichen der Antiochenisch-Orthododxen Metropolie (2 Bischöfe, 19 Priester, 5 Diakone, 1 Ipodiakon)[21] finden sich nur zwei Deutsche (ein Diakon und ein Mönchs-Ipodiakon). Ein deutlich größerer Anteil deutscher orthodoxer Geistlicher gehört allerdings der Russischen Orthodoxen Kirche an, besonders der Diözese von Berlin und Deutschland der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland, die auch schon seit Jahrzehnten mehrere Deutsche und in Deutschland Geborene als Diözesan- und Vikarbischöfe hat.[22]

    Gottesdienst- und Umgangssprache

    Obwohl schon seit langem auch Deutsch in orthodoxen Gottesdiensten Verwendung findet[23], und dies in den letzten Jahren sicher - vor allem bei Hochzeiten national gemischter Paare und bei Taufen der solchen Ehen entstammenden Kinder – zunehmend der Fall ist, ist – wie schon gesagt - die gängige gottesdienstliche Sprache in den orthodoxen Gemeinden mit Ausnahme der wenigen deutschsprachigen diejenige der alten Heimat, also das byzantinische Griechisch, Kirchenslawisch, Ukrainisch, Arabisch, Serbisch, Rumänisch, Bulgarisch oder Georgisch.

    Dabei ist allerdings zu konstatieren, dass vor allem, aber nicht nur, die jüngere Generation, deren weitgehend ihr Leben dominierende Alltags-, Umgangs- und besonders Bildungssprache das Deutsche ist, zunehmend Probleme mit dem Verständnis der gottesdienstlichen Texte hat. Dies ist noch relativ unproblematisch, wenn die Gottesdienstsprache der heimischen modernen Literatursprache entspricht, wie es für die arabischen, serbischen, rumänischen, ukrainischen und bulgarischen Gemeinden gilt; es wird aber zunehmend schwieriger bei jüngeren russischen orthodoxen Christen, deren Kenntnis des literarischen Russischen nachlässt und für die das gottesdienstliche Kirchenslawisch schon eine Hürde bedeutet. Erst recht gilt das für die Griechen, denn sie kennen allenfalls das moderne Neugriechisch in seiner Volksform (demotika), nicht aber das sich davon selbst in der Lexik oft stark abhebende, an der klassischen bzw. byzantinischen Zeit orientierte und zudem hochpoetische liturgische Griechisch.

    Insofern wird eine weitergehende Verwendung des Deutschen im Gottesdienst sicher derzeit eine bedenkenswerte Alternative. Ein wesentlicher Grund dafür, dass dies bislang nur zögerlich geschieht, ist neben der Vertrautheit von Klerus, Sängern und Gläubigen mit den ihnen in ihrem Wortlaut bekannten Gottesdiensttexten in den traditionellen liturgischen Sprachen und einer emotionalen Bindung an diese, aber auch, dass bislang noch keineswegs alle notwendigen Texte in einer qualiätvollen, korrekten und sprachlich schönen deutschen Übersetzung vorliegen. Zwar gibt es inzwischen eine ganze Fülle von Übersetzungsversuchen und schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts sogar eine vielbändige und immer noch wertvolle Edition verschiedenster deutschsprachiger Gottesdienste[24] von Erzpriester Aleksij Mal’cev[25], von der eucharistischen Göttlichen Liturgie sogar eine Überfülle untereinander abweichender Ausgaben, aber eine Reihe davon ist seit langem vergriffen und inzwischen eine nur mit Mühe in Antiquariaten zu findende bibliographische Rarität und auch teilweise sprachlich doch veraltet. Andere lassen zudem nicht nur in philologischer, sondern auch in theologischer Hinsicht zu wünschen übrig.

    Gravierender ist wohl noch, dass in den jüngeren Editionen in der Regel nur einige zentrale, aber nicht alle für das ganze Stundengebet[26] und andere Dienste notwendigen Texte in einer einheitlichen und aufeinander abgestimmten Übersetzung vorliegen, so dass bei überwiegend in Deutsch gehaltenen Gottesdiensten manchmal der gleiche Text, etwa ein Psalm, sogar die kleine Doxologie, das „Ehre dem Vater und dem Sohne …“, in unterschiedlichen Übersetzungen Verwendung findet – und zudem in je nach Gemeinde verschiedenen Varianten.[27]

    Insofern war es ein großer Schritt voran, dass die Orthodoxe Bischofskonferenz vor einigen Jahren eine eigene Kommission für die Übersetzung der orthodoxen liturgischen Texte eingerichtet hat, der perfekt deutsch- und mehrheitlich muttersprachige Fachleute, sämtlich Priester, aus den einzelnen Diözesen angehören und die inzwischen auch schon eine ganze Reihe von Ergebnissen vorgelegt hat, zuerst die Göttlichen Liturgie.[28] In deren Vorwort wird zu Recht vermerkt, dass „es weder angestrebt noch zu erwarten (ist), dass auf absehbare Zeit die liturgische Sprache der verschiedenen orthodoxen Nationen in Deutschland verdrängt oder ersetzt wird, aber zum Verständnis, zur Katechese, zum privaten Mitlesen sowie zu panorthodoxen Zelebrationen wird eine einheitliche deutsche Übersetzung … immer wichtiger“.[29]

    Dabei hat sich gezeigt, dass eine solche Übersetzung – inzwischen liegen auch einige der Mysterien, der Totengottesdienst, Teile des Stundengebetes, sogar der Psalter[30] vor – „außerordentlich delikat (ist), nicht nur wegen der besonderen Würde des Textes, sondern auch wegen vielfältiger und teils althergebrachter sprachlicher Gewohnheiten, Gebräuche und Vorlieben“.[31] Die Kommission entschloss sich dazu, auch von verbreiteten Gewohnheiten abzuweichen, „zumal ein Großteil der bisherigen Sprachprägungen keineswegs orthodox und oft auch philologisch nicht haltbar ist“.[32] In der Tat besteht eine erhebliche Schwierigkeit für die Übersetzungsarbeit darin, dass es bislang keine gewachsene orthodoxe theologische und liturgische Terminologie gibt bzw. ihre Etablierung erst am Anfang steht, d.h. dass viele fachspezifische Ausdrücke in der Regel von der römisch-katholischen oder protestantischen Tradition geprägt sind und oft in einem eindeutig nicht-orthodox bestimmten Kontext stehen.[33]

    Es wird abzuwarten sein, wieweit die qualitätvollen und zudem sämtlich von der Orthodoxen Bischofskonferenz approbierten und empfohlenen Texte der Übersetzungskommission auch wirklich in der Praxis allgemeine Verbreitung finden. Das dürfte ein wesentlicher Faktor für die Festigung deutschsprachiger orthodoxer Gottesdienste – und zudem des Zusammenwachsens der Gemeinden verschiedener ethnischer Herkunft in der nächsten Generation – sein.

    Orthodoxer Gottesdienst ist bekanntlich stets gesungener Lobpreis Gottes, der ebenso auf der Heiligen Schrift wie der hymnischen Tradition der Kirche fusst.[34] Die orthodoxe Christenheit besitzt daher einen reichen Schatz unterschiedlicher Gesangstraditionen, die sich entsprechend den Besonderheiten der jeweiligen Sprachen und Völker in den einzelnen lokalen Kirchen entwickelt haben und somit auch in Deutschland in den Gemeinden der verschiedenen Bistümer vertreten sind. Von daher sind nun dringend auch Musikfassungen der deutschen Übersetzungen notwendig und dies womöglich unter Bewahrung der jeweiligen Musiktraditionen  – allerdings ein schwieriges Unterfangen.[35] Zwar existieren inzwischen auch schon einige Notenausgaben für den Gesang im orthodoxen Gottesdienst[36], die im Wesentlichen auf der russischen Musiktradition basieren, sogar unter teilweiser Einbeziehung der alten „Neumen-Gesangsweise (russ. znamennyj raspev)“, wenngleich es auch einige Versuche unter Benutzung der griechischen, so genannten „byzantinischen“ Weisen gibt.[37]  Sie basieren aber alle bislang nicht auf den Übersetzungen der OBKD-Kommission, sondern auf anderen, älteren und nicht immer sehr korrekten. Hier ist dringender Handlungsbedarf, da beim orthodoxen „Kirchengesang der Text die Melodie (beherrscht) und sie nach den logischen Akzenten ordnet; nur im Text liegt die konstruktive Kraft“[38], wie der wohl beste Kenner der (russischen) orthodoxen Sakralmusik einmal herausstellte.

    Nicht unerwähnt bleiben sollte in diesem Zusammenhang, dass auch einige, wenngleich bislang zu wenige deutschsprachige Lehrmaterialien für den orthodoxen Religionsunterricht[39] in Gemeinde und Schule erschienen sind, so zuerst für die Hand der Lehrer[40] und inzwischen auch für die Grundschule.[41] Auch deutschsprachige orthodoxe Schulbibeln sind inzwischen (in Österreich) publiziert worden.[42]

    All diese Publikationen leisten einen wichtigen Beitrag zur Verwurzelung der jungen orthodoxen Generation in der deutschen Sprachwelt und zum Zusammenwachsen der Schüler und Jugendlichen aus den verschiedenen Diözesen.

    Heiligtümer und Wallfahrten

    Ein deutliches Kennzeichen der fortschreitenden Verwurzelung der orthodoxen Gemeinden in Deutschland ist sicher auch die Verehrung der lokalen Heiligtümer und Heiligen aus der Zeit vor dem Schisma von 1054. In der Tat lässt sich feststellen, dass eine solche in zunehmendem Maße und an vielen Orten, wenn auch nicht allgemein und gleich stark in allen Diözesen, vorhanden ist und zunimmt.

    Schon 1950 hatte der hl. Erzbischof Ioann (Maksimovič) von Shanghai und San Francisco sich beim Konzil der russischen Auslandskirche für die Verehrung dieser frühen Heiligen des Westens ausgeprochen[43] und bereits 2006 hat beispielsweise die Diözesanversammlung der Diözese von Berlin und Deutschland der Russischen Orthodoxen Kirche / Moskauer Patriarchat, für die der Referent der diözesanen Liturgiekommission, Priestermönch Benedikt (Schneider), eine Auflistung von 78 Heiligen des ersten Milleniums[44] zusammengestellt hatte, deren örtliche Verehrung beschlossen[45] und am 12. September 2019 im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur in Berlin sogar eine internationale wissenschaftliche und praktische Konferenz der Diözese von Berlin und Deutschland und der deutschen Diözese der Russischen Auslandskirche zum Thema „Heilige Deutschlands des ersten Jahrtausends" stattgefunden.[46]

    Inzwischen finden sich Ikonen einiger dieser alten Heiligen auch in einer ganzen Reihe orthodoxer Kirchen Deutschlands[47] und gibt es eine Web-[48] und eine Facebook-Seite[49] der unter der Schirmherrschaft von Metropolit Mark von Berlin und Deutschland (Russische Auslandskirche) stehenden Gesellschaft „Freunde von DOM e.V. - Deutschsprachige Orthodoxie in Mitteleuropa“, die regelmäßig unter den Tagesheiligen auch die westlichen mit ihren liturgischen Texten und Kurzviten vorstellt und ebenso die Orte ihrer Verehrung und ihres Wirkens und Leidens aufzeigt, auch von Menschen aus dem Nahen Osten, aus Aquitanien, Irland und England, die im Gebiett des heutigen Deutschland gewirkt haben.[50]

    Einige Gemeinden organisieren inzwischen auch regelmäßig Wallfahrten zu Heiligtümern in Deutschland und anderen Stätten Westeuropas. Schon Tradition haben beispielsweise die panorthodoxen Pilgerfahrten zum Heiligen Kreuz im Limburger Dom[51] oder zur hl. Agatha in Kloster Kamp.[52]

    Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die bisher zwei großen gesamtorthodoxen Wallfahrten, an denen viele Hunderte orthodoxer Christen der verschiedenen Bistümer und Nationen teilnahmen, so 2013 nach Trier anlässlich des 1700-jährigen Jubiläums der Mailänder Vereinbarung, wo elf Bischöfe dem Gottesdienst vorstanden, darunter alle damals in Deutschland residierenden Diözesan-[53]  sowie sechs Vikarbischöfe mit über 30 Priestern und Diakonen,[54] und sodann der Vespergottesdienst im Chor des Doms zu Köln mit anschließender Verehrung der Gebeine der Magier und der Martyrer, die im so genannten „Dreikönigenschrein" ruhen[55]. Dieser Gottesdienst, zu dem sich über 1.500 orthodoxe Pilger versammelten, war ein beeindruckendes Zeugnis einerseits für die Integration in die deutsche kirchliche Landschaft, fand er doch an einem der geschichtsträchtigten Heiligtümer Deutschland statt, zum anderen aber ebenso auch für das Zusammenwachsen der jetzt in diesem Land beheimateten Orthodoxen aus verschiedenen Nationen, standen der Vesper doch in Anwesenheit etlicher Bischöfe ein serbischer Priester und ein griechischer Diakon vor und wurde sie in mehreren Sprachen unter der Teilnahme von drei orthodoxen Chören aus der Umgebung zelebriert, nämlich des Byzantinischen Chores der griechischen Metropolitankirche in Bonn, des Chores der russischen Maria-Obhut-Gemeinde Düsseldorf und des rumänischen Gemeindechores Köln.

    Perspektiven

    Die Entwicklung der Orthodoxen Kirche in Deutschland im ganzen 20. Jahrhundert, besonders nach 1990, war dynamisch und setzt sich jetzt mit einer Phase der Konsolidierung und weiteren Verfestigung fort.[56] Dabei ist das Leben in einer sich zunehmend und in vieler Hinsicht rasch entchristlichenden deutschen Gesellschaft für viele orthodoxe Christen (wie auch für ihre Geistlichen), die aus den traditionell orthodoxen Ländern kommen, eine neue und manchmal frustrierende Erfahrung, die sich auch von der unter den atheistischen kommunistischen Regimen insofern unterscheidet, als dort der Angriff auf das Christerntum und die Kirche gewissermaßen „von außen“ erfolgte, nicht aber durch ein allgemeines Aufweichen der meisten Religionsgemeinschaften infolge der Säkularisierung der Gesellschaft.

    Eine andere neue und bislang nicht gekannte Erfahrung für viele Gemeinden und Gläubigen sind ebenso die Vielfalt der Orthodoxie am gleichen Ort selbst als auch die Interaktion mit anderen christlichen Konfessionen und nichtchristlichen Religionen sowie die Spannungen zwischen manchen heimischen orthodoxen und lokalen deutschen Traditionen.

    Aufgabe der Kirche ist es hier, eine geistliche Degeneration der Gläubigen und die sinnlose Aufgabe der orthodoxen Traditionen zu vermeiden, sondern vielmehr weise zu schauen, wie sie auch in der deutschen Gesellschaft lebendig bleiben können, ohne andererseits einer Ghettoisierung Vorschub zu leisten. Es geht also zum Einen darum, die aus der alten Heimat mitgebrachte orthodoxe kulturelle, religiöse und spirituelle Identität in ihren ethnisch vielfältigen Formen in ihrem Wesen unbeschadet für eine zukünftige Generation zu bewahren, die sprachlich und kulturell zunehmend in die deutsche Gesellschaft integriert wird und teilweise schon ist, andererseits diese Identität in die neue kulturelle und religiöse Umwelt zu integrieren.

    Dabei ist klar: Weder künstlich und letztlich steril konservierte ethnische Reservate noch eine zwanghaft angepasste unprofessionelle Assimilation können dem dienen, was die Zukunft der Orthodoxen Kirche in Deutschland sein soll, die hier ihren Platz gefunden hat, die zur positiven Entwicklung der hiesigen Gesellschaft beitragen will und kann, die aber weiterhin ihre Kraft aus der spirituellen Erfahrung der jahrhundertealten orthodoxen Tradition in der alten Heimat schöpft und sie im Geist echter Synodalität und Gleichberechtigung weiterträgt. Es geht also um den entscheidenden, wohl bedachten, doch mutig angegangenen Schritt von der alten zur neuen Heimat, ein Handeln, das zugleich in positivem Sinn konservativ wie progressiv ist, indem es das Gute von dort bewahrt und lebendig erhält, zugleich aber offen ist für die neuen Erfahrungen hier und sie in ein genuin orthodoxes Glaubensleben „in der Fülle“ integriert.

    Der erste Vorsitzende der KOKiD, Anastasios Kallis, prägte dafür den von ihm immer wieder gern wiederholten und rundum passenden Ausdruck „Westliche Orthodoxie östlicher Prägung".

    Die Gretchenfrage zum Schluss: Sind wir auf dem Weg zur „deutschen Orthodoxie“?

    Einer der ersten orthodoxen Geistlichen, die sich besonders für eine deutschsprachige Orthodoxie engagierten, war schon vor Jahrzehnten Erzpriester Sergius Heitz[57]. Seine Intentionen und Positionen über den Auftrag der Orthodoxen Kirche im Westen, speziell in Deutschland, wie er ihn verstand, erläuterte er einmal in einem Beitrag in den „Parochialen Monatsblättern“ aus Anlass des silbernen Jubiläums seiner Düsseldorfer Gemeinde so: „Die Orthodoxe Kirche beansprucht in ihrem Bewusstsein und in ihrer Sendung die universal gültige Ausprägung dessen zu sein, was Christentum ist und sein muss.... Das Zeugnis der urchristlichen Wahrheit und Gottesverherrlichung ließ in steigendem Maße Menschen sog. ‚westlicher'... oder anderer nicht-östlicher Herkunft ihre geistlich-kirchliche Heimat in der katholischen Orthodoxie finden.... Orthodoxie hierzulande, in heutigen Zeiten heißt durch ein von Gott gültiges Zeugnis, den existentiellen Zugang zur Fülle - im historischen und metaphysischen Sinn - des urchristlichen Lebens offen zu halten, heißt... ohne auflösende Abstriche, ohne in Missgestaltungen verkrümmt, ohne billige Verdünnungen, ohne zentrifugale Entwicklungen, ohne humanistische (rationalistische, historizistische, ethizistische) Vorbehalte, so wie der Heilige Geist eben diesen weltüberwindenden Glauben mit der Göttlichen Tradition in der alleinigen, heiligen Kirche rein, lebendig und gegenwärtig strömen lässt, heißt... den dreieinigen Gott... anzubeten und Seine Herrlichkeit widerzuspiegeln.“[58]

    Man wird aus der Retrospektive zwar sagen müssen: Heitz’ Traum von der deutschsprachigen, gar deutschen Orthodoxie ist nicht Wirklichkeit geworden – und sicher hat er die Bindungen der meisten geborenen Orthodoxen an ihre nationale Kultur und die damit verbundene Ausformung der orthodoxen Lebensweise auch nicht genügend verstanden, zumindest unterschätzt. Trotzdem bleibt festzuhalten, was er immer wieder aufgewiesen hat, dass die Orthodoxie auch in einem Diaspora-Land auf die Dauer kein exotischer Fremdkörper sein kann, sondern sich hier verwurzeln wird und muss. Es war wohl die Tragik von Erzpriester Heitz, dass er diese Entwicklung, die mit ziemlicher Sicherheit in der nächsten und übernächsten Generation zumindest auf vielen Feldern eintreten wird, zu sehr forcieren wollte und damit seine Initiativen oft für die Gesamtentwicklung der Orthodoxie in Deutschland eher marginal blieben.[59]

    Trotzdem wird aber weiter im Zusammenhang unserer Thematik oft die Frage gestellt, ob und wann denn nun der Zeitpunkt gekommen sei, die verschiedenen orthodoxen Bistümer auch institutionell zu einer eigenständigen mehr oder minder autonomen „Orthodoxen Kirche in Deutschland“ zusammenzufassen und entsprechend neu zu strukturieren.[60]

    Nun gibt es ja bereits seit 1994 ein verfasstes Organ der Zusammenarbeit – zuerst die „Kommission der orthodoxen Kirchen in Deutschland / Verband der Diözesen (KOKiD)“[61] und seit 2010 die „Orthodoxe Bischofskonferenz in Deutschland (OBKD)“[62]– ohne dass allerdings die jurisdiktionelle Bindung der einzelnen Bistümer an ihre Mutter- und Heimatkirchen und ihre Verantwortlichkeit ihnen gegenüber eingeschränkt würde[63].

    Dieser Status entspricht derzeit auch genau der ungemindert starken gefühlsmäßigen Bindung der weitaus meisten Geistlichen und Gläubigen an die alte Heimat, ihre sprachliche und spirituelle Kultur und ihre spezifischen Traditionen der Frömmigkeit. Dabei wurde durch die KOKiD und dann in ihrer Weiterführung durch die OBKD in wenigen Jahrzehnten ein beachtenswerter Prozess des Zusammenwachsens der Orthodoxie in Deutschland über alle ethnischen und jurisdiktionellen Linien hinaus eingeleitet, der zu zahlreichen positiven Entwicklungen geführt und sichbare Früchte getragen hat, von denen hier nur einige aufgeführt werden können, wie etwa der Gründung des „Orthodoxen Jugendbundes Deutschland (OJB)“[64] oder der zahlreichen örtlichen Pfarrkonferenzen, in denen die Geistlichen einer Stadt oder gelegentlich auch einer Region kontinuierlich zusammenarbeiten.[65] Gemeinsam sind auch die Rundfunk- und Fernseharbeit[66] und die Repräsentanz in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen auf Bundesebene, deren Vorsitzenden seit 2019 erstmalig die Orthodoxie in der Person von Erzpriester Radu Constantin Miron[67] stellt, sowie etliche Initiativen auf lokaler Ebene und nicht zuletzt ein nun schon im 25. Jahrgang im Auftrag der Bischofskonferenz von der Gesellschaft „Orthodoxe Medien“ herausgegebener monatlicher panorthodoxer Informationsdienst „Orthodoxie aktuell“[68].

    Auch hat die Theologische Kommission der OBKD inzwischen eine Reihe von Texten[69] zu aktuellen Fragen erarbeitet, die gemeinsam von allen Bischöfen getragen werden. Besonders sei hier noch einmal der schon oben zitierte „Brief der Bischöfe der orthodoxen Kirche in Deutschland an die Jugend“[70] von 2017 erwähnt, der in verschiedene Sprachen übersetzt wurde und auch international Beachtung gefunden hat, da er es verstand, die orthodoxe Ethik und ihre theologischen Positionen klar zu vermitteln, aber in einer Sprache, die der heute in Deutschland lebenden jungen Generation verständlich ist.

    All dies sind nur einige wenige Beispiele für viele andere für eine sichtbar gewachsene Integration der Orthodoxen Kirche in die deutsche Lebenswelt wie auch der einzelnen Bistümer und Gemeinden unter- und miteinander. All das ist jedoch nur möglich in einem Geist wahrer Synodalität, in Liebe und des Verständnisses füreinander[71] - und auch der Rücksichtnahme auf die jeweilige geistliche wie gefühlsmäßige Situation der einzelnen Gläubigen, die sicher alle – sei es teils auch nolens volens - auf dem Weg von der alten zur neuen Heimat sind, aber unterschiedlich viele Schritte noch zu gehen haben, wie es aus seiner Sachkenntnis und seelsorglichen Erfahrung so treffend der Vorsteher der derzeit zahlenmäßig größten orthodoxen Diözese in Deutschland, der rumänische Metropolit Serafim (Joantă), in seiner Analyse der derzeitigen situation beschrieben hat: „Die größte Schwierigkeit in der Lösung des Problems der Diaspora gemäß den Kanones besteht in einer naturgegebenen Wirklichkeit, dass nämlich die Gläubigen jeder Jurisdiktion sentimental und kulturell an ihren Ursprungskirchen hängen, die aber verschiedene Liturgien und Traditionen haben. Wenn wir die Fragilität des Glaubens der meisten Gläubigen und ihre Zuneigung gegenüber ihrer Mutterkirche sehen, dann ist für einen Bischof oder Priester unmöglich, diese seelsorgerlich zu betreuen., wenn er nicht in allem die Sprache und Kultur teilt, in der diese aufgewachsen sind. Anders stellt sich das Problem für die Glubigen dar, die in der Diaspora geboren wurden und nicht mehr so stark an ihrer Mutterkirche hängen wie ihre Eltern und Großeltern. Sie haben sich in die Gesellschaft integriert, in die sie hineingeboren wurden, und die meisten bevorzogen das Gebet in der Sprache des Landes, in dem sie leben. Doch stellen diese nur eine Minderheit dar. Wobei hioer durchaus ein »Generationenkonflikt«[72] besteht“.[73]

    Diesen Konflikt zu einem, Bruch werden zu lassen, gilt es unbedingt zu vermeiden: Erst wenn alle auch wirklich in ihrem Selbstbewusstsein „angekommen“ sind, wenn also die emotionale Bindung an die aus vielen Nationen zusammenwachsende Orthodoxie in Deutschland überwiegt, wenn diese auch ihre spezifische Identität entwickelt, kann von einer Orthodoxen Kirche in Deutschland auch in festen organisatorischen Formen die Rede sein. Bis dahin ist noch ein vielleicht, sogar wahrscheinlich  jahrzehntelanger Weg mit ebensoviel pastoraler Klugkeit und gegenseitiger Rücksichtnahme wie mit Beharrlichkeit und Zielorientierung zu gehen: Aber dieser Weg hat ersichtlich begonnen!

     

    [1] Vgl. zur zahlenmäßigen Entwicklung in den letzten Jahrzehnten: Nikolaj Thon, Orthodoxe Christen in Deutschland - Versuch einer Statistik, in: Anastasios Kallis / Bischof Evmenios (Tamiolakis) von Lefka (Hrsg.), Orthodoxie in Begegnung und Dialog - Festgabe für Metropolit Augoustinos, Münster 1998, 227-233; ders. Wie viele sind Sie / wir denn nun? – Zur Problematik einer Statistik, Orthodoxie aktuell, 19. Jg., Heft 10 (Oktober), Dortmund 2015, 2–4. – Inzwischen sind einige Zahlen noch deutlich gestiegen. Insofern sind manche Zahlenangaben deutlich überholt wie etwa bei; https://www.remid.de/info_zahlen/orthodoxie (aufgerufen am 1.1.2021). - Besonders gestiegen ist noch jüngst die der Rumänen, die heute die größte Gruppe der orthodoxen Christen in Deutschland darstellen, denn Ende 2019 lebten laut offizieller Statistik der Bundesrepublik Deutschland rund 748.000 Rumänen in Deutschland. So hat sich die Zahl der in Deutschland lebenden Menschen mit rumänischer Staatsangehörigkeit in den letzten 10 Jahren mehr als versiebenfacht. Vor allem zwischen 2014 und 2017 stieg die Zahl der Rumänen in Deutschland rasant an, um etwa 90.000 pro Jahr, vgl.: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/530434/umfrage/auslaender-aus-rumaenien-in-deutschland (aufgerufen am 1.1.2021). Nach allen religiösen Statistiken sind mindestens 80% der Rumänen orthodox. Damit dürfte es nun fast 600.000 orthodoxe Rumänen in Deutschland geben. Vgl. auch: Metropolit Serafim, Die Rumänische Orthodoxe Kirche in Deutschland, in: Jürgen Henkel (Hrsg.), Die Orthodoxie zwischen Tradition und Moderne – Gesammelte Beiträge von Metropolit Serafim von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa zur orthodoxen Theologie und Glaubenspraxis, Bonn – Sibiu 2019, 64-68.

    [2] Lt. der Auflistung des Ostkirchlichen Instituts Regensburg hat beipielsweise das Patriarchat Antiochia 750.000 Gläubige, die Georgische Kirche eine Million, die Kirche von Zypern 400.000, die von Polen 600.000, die von Albanien 500.000, vgl. https://www.oki-regensburg.de/ostkirc1.htm (aufgerufen am 1.1.2021)

    [3] In Deutschland gibt es nur relativ wenige vom Standpunkt des orthodoxen Kirchenrechts nicht-kanonische Gemeinden, so vor allem die zehn Gemeinden der sogenannten „Autokephalen Makedonischen Orthodoxen Kirche" (in Aalen, Berlin, Dortmund, Düsseldorf, Hannover, Ingolstadt, München, Nürnberg und Stuttgart). Laut Ausländerzentralregister lebten Ende 2015 95.976 nordmazedonische Staatsangehörige in Deutschland, von denen die überwiegende Mehrheit orthodoxe Christen waren. - Darüber hinaus gibt es nur noch vereinzelte und sämtlich relativ kleine Gemeinden griechischer Altkalendarier verschiedener Gruppierungen, sodann des sogenannten „Kiever Patriarchats" und anderer ukrainischer Schismatiker.

    [4] Zur Geschichte einzelner Bistümer vgl. im Detail: Nikolaj Thon, Orthodoxie in Deutschland heute – Die Orthodoxe Kirche und ihre Bistümer (Teil 1): Der historische Weg, KNA – Ökumenische Information, Nr. 34 vom 13. August 2016, Bonn 2016, 9–11, I–IV; Gemeinsames Handeln – Die Orthodoxe Kirche in Deutschland (Teil 2): KOKiD und OBKD, KNA – Ökumenische Information, Nr. 35 vom 30. August 2016, Bonn 2016,11–14; Fest etablierte Diözese. Orthodoxie in Deutschland (3): Die Griechisch-Orthodoxe Metropolie, KNA – Ökumenische Information, Nr. 37 vom 13. September 2016, Bonn 2016, 7–9; Die „zweieine Diözese" – Orthodoxe Kirche in Deutschland (4): Die beiden russischen Bistümer, KNA –- Ökumenische Information, Nr. 48 vom 29. November 2016, Bonn 2016, 9—12; Heute die größte Diözese – Die Orthodoxe Kirche in Deutschland (5): Die Rumänische Metropolie, KNA – Ökumenische Information, Nr. 35 vom 28. August 2018, Bonn 2018, 7–10; In neuer Heimat gut integriert – Die Orthodoxe Kirche in Deutschland (6): Die Antiochenische Metropolie, KNA – Ökumenische Information, Nr. 32 vom 6. August 2019, Bonn 2019, I–IV; Konsolidierung nach der Krise – Die Orthodoxie in Deutschland (7): Die Serbische Orthodoxe Diözese, KNA – Ökumenische Information, Nr. 48 vom 26. November 2019, Bonn 2019, I–IV.

    [5] Nämlich der Patriarchate Konstantinopel, Antiochia, Moskau und der Georgischen, Serbischen, Rumänischen, und Bulgarischen Kirche.

    [6] Zur Geschichte der Orthodoxie in Deutschland allgemein vgl. Nikolaj Thon, Ethnische Vielfalt und Einheit im Glauben: Die Orthodoxe Kirche, in: Markus Hero, Volkhard Krech, Helmut Zander (Hrsg.), Religiöse Vielfalt in Nordrhein-Westfalen – Empirische Befunde und Perspektiven der Globalisierung vor Ort, Paderborn 2008, 84-99; ders. Ethnische Vielfalt und Einheit im Glauben – Die Orthodoxe Kirche in Deutschland und ihr historischer Weg zu einer Bischofskonferenz, in: Thomas Bremer / Assaad Elias Kattan / Reinhard Thöle (Hrsg.), Orthodoxie in Deutschland, Münster 2016, 51-70. Vgl. auch: ders., Orthodoxie in Deutschland – Eine Kirche aus vielen Nationen wird heimisch, in: Claudia Rammelt / Esther Hornung / Vasile-Octavian Mihoc (Hrsg.), Begegnung in der Glokalität – Christliche Migrationskirchen in Deutschland im Wandel, Leipzig 2018, 119-125.

    [7] http://www.obkd.de/Texte/Brief%20OBKD%20an%20die%20Jugend.pdf (aufgerufen 1.1.2021)

    [8] Vgl.dazu ausführlicher: Thon, Orthodoxie in Deutschland, a.a.O., 51 ff.

    [9] Unter den Menschen jüdischer Nationalität oder Herkunft aus der ehemaligen Sowjetunion, die als so genannte „Kontingentflüchlinge“ nach Deutschland einreisen durften, befinden sich nicht nur Juden im religiösen Sinne, sondern - nach Schätzungen an die 10-15% - auch orthodoxe Christen, die sich zumeist in russischen orthodoxen Gemeinden beheimateten, darunter auch einige Priester.

    [10] Die Göttliche Liturgie unseres heiligen Vaters Johannes Chrysostomos – Text der Übersetzungskommission der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland, München 2017, 3.

    [11] Vgl. zu vielen Aspekten: Evmenios von Lefka, Bischof / Athanasios Basdekis / Nikolaus Thon (Hrsg.), Die Orthodoxe Kirche – Eine Standortbestimmung an der Jahrtausendwende (Festgabe für Anastasios Kallis), Frankfurt/Main 1999; zur religiösen Lage der Jugendlichen speziell: Yauheniya Danilovich, Religiöses Lernen im Jugendalter: eine internationale vergleichende Studie in der orthodoxen und evangelischen Kirche (Arbeiten zur Religionspädagogik, Band 64), Göttingen 2106.

    [12] Vgl. Anm. 7.

    [13] Der schon mehrfach zitierte „Brief der Bischöfe an die Jugend“ spricht daher eine ganze Reihe solcher Konfliktfelder an, wie sexuelle Beziehungen vor der Ehe, Verantwortung in Bezug auf die eigene Sexualität und auf die Sexualität des Partners, Zivilehe, Kinderwunsch, Abtreibung, Ehen zwischen Orthodoxen und anderen Christen oder sogar Nichtchristen, Kindererziehung im Respekt gegenüber unterschiedlichen Traditionen usw.

    [14] Dies zeigt sich wohl auch an der Tatsache, dass in den wenigen deutschsprachigen orthodoxen Gemeinden der größte Teil der Gemeindemitglieder in der Regel ethnisch deutsche Neubekehrte sind und dass diese wenigen Gemeinden kaum oder gar keinen Zuwachs von Gläubigen haben, die in ihrer jeweiligen heimatlichen nationalen Kirchentradition geboren und aufgewachsen sind, auch nicht von der jüngeren Generation, obwohl deren primäre Kommunikations- und vor allem Bildungssprache inzwischen schon das Deutsche ist und die Kenntnis des Idioms der früheren Heimat der Familie teils rapide zurückgeht.

    [15] Als – natürlich eher äußerliches - Beispiel sei nur genannt, dass es in den russischen (und teilweise serbischen und rumänischen) Gemeinden die Regel ist, dass Frauen ihr Haupt im Gotteshaus mit einem Kopftuch bedecken, während dies in den arabischsprachigen Kirchen als islamischer Brauch verpönt ist.

    [16] Relativ groß ist in den beiden russischen Diözesen – auch unter dem Klerus – der Anteil der als so genannte „Spätaussiedler“ nach Deutschland gekommenen Russlanddeutschen, die aber, vor allem, wenn sie orthodoxen Glaubens sind, doch stark in die russische Kultur integriert sind.

    [17] Vgl. die Erfahrungen eines Pfarrers der Russischen Kirche mit Konvertiten „Немцы видят в Православной Церкви хранительницу святоотеческих преданий» - Беседа со священником Алексием Веселовым“: https://pravoslavie.ru/134554.html?fbclid=IwAR10-45GRqOXqScTN6pbzOZJrWdiNmNVQCWrt0MKgq-tRBpPEy9dHSJduTQ (aufgerufen am 1.1.2021); auch gekürzt in Deutsch: https://dom-hl-michael.de/das-orthodoxe-gemeindeleben-in-deutschland

    [18] Zwei davon in der griechischen Metropolie (in München und Düsseldorf), zwei in der Berliner Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche (in Berlin und Hamburg) und eine in der russischen Auslandskirchendiözese (in München).

    [19] Doch immerhin ist inzwischen einer der Weihbischöfe der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland, nämlich Bischof Emmanuel (Sfiatkos) von Christoupolis, in Deutschland geboren. In der Bekanntgabe seiner Wahl zum Bischof betonte daher die Metropolie: „Bischof Emmanuel wird der erste Bischof der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland sein, der in Deutschland geboren wurde. Seine Bischofswahl verstehen wir deshalb auch als Zeichen der Integration der Orthodoxen Kirche in unserem Land“, vgl. https://www.orthodoxie.net/post/bekanntmachung.

    [20] ΗΜΕΡΟΛΟΓΙΟΝ 2021, Bonn 2020, 179-187.

    [21] https://rum-orthodox.de/metropolie/geistliche (aufgerufen am 1.1.2021)

    [22] Zuerst Metropolit Serafim (Lade, 1883-1950), Diözesanbischof von 1938-1950; sodann Metropolit Mark (Arndt, geb. 1941), Diözesanbischof seit 1982; Bischof Agapit (Goraček, 1955-2020), Vikarbischof 2001-2020. Am 29. Dezember 2020 wurde zu seinem Nachfolger als Vikarbischof ein ebenfalls (1982) in Deutschland (Berlin) Geborener bestimmt, nämlich Abt Hiob (Bandmann). Seine Weihe soll 2021 stattfinden. - Ein weiterer Deutscher, der 1971 bis 1993 als Bischof in der Orthodoxen Kirche wirkte, allerdings in der Erzdiözese der Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa (mit Sitz in Paris), war Erzbischof Georgij (Wagner, 1930-1993).

    [23] Vgl. Nikolaj Thon, Употребление немецкого как «языка православного богослужения», in: Rossijskij Pravoslavnyj Universitet im.Ioanna Bogoslova – Učenye zapiski, Bd. 1, Moskau 1995, 175-181; gekürzt dt.: Der Gebrauch des Deutschen als orthodoxer Liturgiesprache, in: Die Göttliche Liturgie in der deutschsprachigen Diaspora (Sonderheft zum 10-jährigen Bestehen des St. Andreas-Boten), München, November 2003, 22-27.

    [24] Liturgikon - Die Liturgien der Orthodox-Katholischen Kirche des Morgenlandes unter 13Berücksichtigung des bischöflichen Ritus nebst einer historisch-vergleichenden Betrachtung der hauptsächlichsten Liturgien des Orients und Occidents, Berlin (3. Auflage) 1902, 576 S.; Die Nachtwache oder Abend- und Morgengottesdienst der Orthodox-Katholischen Kirche des Morgenlandes, Berlin 1892, 922 S.; Andachtsbuch der Orthodox-Katholischen Kirche des Morgenlandes, Berlin 1895, 992 S., Bitt-, Dank- und Weihegottesdienste der Orthodox-Katholischen Kirche des Morgenlandes, Berlin 1897, 1288 S.; Die Sacramente der Orthodox-Katholischen Kirche des Morgenlandes, Berlin 1898, 990 S.; Begräbniss-Ritus und einige specielle und alterthümliche Gottesdienste der Orthodox-Katholischen Kirche, Berlin 1898, 1046 S.; Fasten- und Blumen-Triodion nebst den Sonntagsliedern des Oktoichos der Orthodox-Katholischen Kirche des Morgenlandes, Berlin 1899, 1420 S.; Menologion der Orthodox-Katholischen Kirche des Morgenlandes. I. Theil (September – Februar), Berlin 1900, 1158 S.; Menologion der Orthodox-Katholischen Kirche des Morgenlandes. II. Theil (März – August), Berlin 1901, 976 S.; Oktoichos oder Parakletike der Orthodox-Katholischen Kirche des Morgenlandes. I. Theil (Ton I–IV.) Berlin 1903, 1288 S. 11. Oktoichos oder Parakletike der Orthodox-Katholischen Kirche des Morgenlandes. II. Theil (Ton V–VIII.), Berlin 1904, 1280 S. – Trotz der Fülle dieses Übersetzungswerkes sind teilweise nur einzelne Texte, besonders in den Minäen, aufgenommen bzw. andere – so im Oktoichos – stark gekürzt.

    [25] Vgl. zu ihm (mit Abb. und Literaturangaben): Nikolaj Thon, Протоиерей Алексий Мальцев — богослов, церковный историк, переводчик, миссионер, https://rokmp.de/protoierey-aleksiy-maltsev-bogoslov-tserkovnyiy-istorik-perevodchik-missioner (aufgerufen am 1.1.2021); ders., Ein Vater der Orthodoxie in Deutschland - Zum 100. Todestag von Erzpriester Aleksij Mal’cev, Orthodoxie aktuell, 20. Jg., Heft 1 (Januar), Dortmund 2016, 2–7.

    [26] So enthält eine im übrigen sehr umfangreiche und verdienstvolle deutschsprachige Ausgabe der Minäen nur die Texte der griechischen, nicht der slawischen Heiligen und auch nur zur Vesper, nicht zum Morgengottesdienst, vgl. Peter Plank (Übers.) / Katharina Sponsel (Hrsg.), Minäen - Sämtliche Vespertexte aus den griechischen Minäen in deutscher Sprache, Aschaffenburg 2010.

    [27] Selbst einen so zentralen Text wie den Osterfestgesang kann man je nach Gemeinde in stark variierenden Übersetzungen hören: „Christ ist erstanden …“, „Christus ist auferstanden …“, „Christ erstand …“ usw. usf.

    [28] vgl. Anm. 10, auch im Internet abrufbar: http://www.obkd.de/Texte/Chrysostomos-Liturgie.pdf (aufgerufen am 1.1.2021)

    [29] Göttliche Liturgie, München 2020, 3.

    [30] Weitere Übersetzungen der Kommission existieren bislang noch nicht als Druckausgaben, wohl aber im Internet: http://liturgie.obkd.de. – Das Christlich-Orthodoxe Informationszentrum e.V. hat, basierend auf den Übersetzungen der OBKD-Kommission, auch schon eine Reihe zweisprachiger (deutsch-kirchenslawischer) liturgischer Bücher publiziert, vgl. http://www.orthodoxinfo.de/index.php/liturgische-buecher (aufgerufen am 1.1.2021). Zahlreiche Gottesdiensttexte in Deutsch finden sich (allerdings in einer anderen Übersetzung) auch auf der Webseite der russischen Gemeinde des hl. Erzengels Michael in Göttingen: https://orthodoxia.de/gebete/liturgikon (aufgerufen am 1.1.2021)

    [31] Göttliche Liturgie, 4

    [32] Göttliche Liturgie, 6-7 werden einige solche Übersetzungsentscheidungen kurz erklärt und begründet (z.B. „Dreiheit“ statt „Dreifaltigkeit“, „Königtum“ statt „Reich“ usw.).

    [33] Als Beispiel sei der Begriff „Sakrament“ erwähnt, vgl. Anastasios Kalls, Sakramemte (mysteria) III, orth. Sicht, in: H. Krüger (Hrsg.), Ökumene-Lexikon, Frankfurt 1983, Sp. 1063-1068.

    [34] Vgl. Bischof Vasilie, Die Bedeutung der Heiligen Schrift und der Tradition im gottesdienstlichen Leben der Orthodoxen Kirche, in: Kirchliches Außenamt der EKD (Hrsg.), Die Heilige Schrift, die Tradition und das Bekenntnis – Eine Dokumentation über das 1. Theologische Gespräch mit der Rumänischen Orthodoxen Kirche in Goslar 1970, Frankfurt/M. 1982, 64-82; weiter: Konstantin Nikolakopoulos, Der Umgang der Orthodoxen Kirche mit der Bibel, in: Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (Hg.), Die Bibel neu als Schatz entdecken, Oberbergkirchen 2. Aufl. 2015, 64-68.

    [35] Bezeichnenderweise singen beispielsweise in den meisten serbischen Gemeinden, die die Gottesdienste ansonsten weitgehend in modernem Serbisch (oft in den Übersetzungen des hl. Justin Popović) feiern, die Chöre weiter in Kirchenslawisch, weil ihnen die klassischen Kompositionen für diese Sprache (z.B. die sehr beliebte von St. Mokranjac) vertraut sind, solche für Serbisch aber so nicht nicht existieren.

    [36] Vgl. beispielsweise: Katharina Sponsel, Der Orthodoxe Vespergottesdienst (Edition HERMEN­EIA, Bd. 1), Reckling­hausen 1988; Peter Plank / Katharina Sponsel, Chorbuch zur Göttlichen Liturgie, Würzburg 1992.

    [37] Einen bemerkenswerten, wenn auch (schon wegen der stark textverändernden Übersetzung) umstrittenen Versuch stellen in diesem Kontext die Arbeiten des (zur Bulgarischen Metropolie von West- und Mitteleuropa gehörenden) Deutschen Orthodoxen Dreifaltigkeitsklosters in Buchhagen dar, die eine neue eigenständige deutsche orthodoxe Musikform entwickelt haben, u.a. unter Berücksichtigung des abendländischen gregorianischen Chorals, vgl. (mit Hörbeispielen): https://orthodox.de/heiliger-gesang.php (aufgerufen am 1.1.2021)

    [38] Johann von Gardner, Gesänge der Heiligen und Göttlichen Liturgie, Partitur, Krefeld-Traar o.J., IX.

    [39] Vgl. in diesem Band den Beitrag: Kerstin Keller, ….; und allgemein: Makrides, Vasilios N., Bildung aus Sicht des Orthodoxen Christentums, in: Bertelsmann Stiftung (Hg.), Religion und Bildung. Orte, Medien und Experten religiöser Bildung, Gütersloh 2008, 86-91.

    [40] Doxologie - Eine Handreichung zum orthodoxen liturgischen Leben (zusammengestellt von einer Arbeitsgruppe beim Regierungspräsidenten Münster in Zusammenarbeit mit dem Lehr- und Forschungsgebiet Ortho­doxe Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität, Leitung: Ana­stasios Kallis, Re­daktion: Nikolaus Thon) <Schriftenreihe zur Lehrerfort- und -weiterbildung, Heft 3/1992>, Regierungspräsident, Münster 1992; Die Orthodoxe Kirche und ihr Weg in der Geschichte - Teil 1: Begegnung und Auseinandersetzung (zusammengestellt im Auftrag der Bezirksregierung Münster / Dezernat 45 von einer Arbeitsgruppe beim Lehr- und Forschungsgebiet Ortho­doxe Theologie an der Westfäli­schen Wilhelms-Universität, Leitung: Ana­stasios Kallis, Re­daktion: Nikolaus Thon) <Schriftenreihe zur Lehrerfort- und -weiterbildung, Heft 18/1997>, Bezirksregierung, Münster 1996.

    [41] Kerstin Keller, Dein Stock und Dein Stab geben mir Zuversicht – Materialien für die orthodoxe Gemeindekatechese zu den Mysterien der Einführung in die Kirche (Taufe, Myronsalbund und Eucharistie), Düsseldorf 1998; dies. (Hrsg.), Mit Christus unterwegs 1/2. Das orthodoxe Schulbuch, Berlin 2016.

    [42] Die Bibel in kurzen Erzählungen zur Verwendung für den orthodoxen Religionsunterricht an Volksschulen in Österreich. Hg. im Auftrag des Orthodoxen Schulamtes in Österreich, Wien 3. Aufl. 2013; Orthodoxe Schulbibel – Evangelien, Apostelgeschichte und ausgewählte Psalmen, Wien 2015.

    [43] Vgl. den vollständigen Text seines Vortrages (in Russisch): https://www.hamburg-hram.de/letopis/o-pochitanii-svyatyx-prosiyavshix-na-zapade/6600.html (aufgerufen am 1.1.2021)

    [44] http://www.saarbruecken.orthodoxy.ru/Svjatye-Germanii.pdf (aufgerufen am 1.1.2021)

    [45] https://elitsy.ru/communities/87625/810919 (aufgerufen am 1.1.2021); dort auch die grundlegenden liturgischen Texte: http://www.saarbruecken.orthodoxy.ru/Sobor-Germans-tropar.html (aufgerufen am 1.1.2021)

    [46] Vgl. https://rokmp.de/v-krefelde-sostojalis-eparhialnoe-sobranie-i-pastyrskoe-soveshhanie-berlinsko-germanskoj-eparhii (aufgerufen am 1.1.2021)

    [47] Etwa in großer Zahl in der zur serbischen Diözese von Düsseldorf und Deutschland gehörenden, aber weitaus deutschsprachigen Mönchs-Skite des hl. Spyriodon in Geilnau bei Limburg: http://www.spyridon-skite.de. Dort befinmdet sich auch eine Ikone mit dem Titel „Gottesmutter – Königin von Deutschland“, die als wundertätig verehrt wird. Die Ikone zeigt die Gottesgebärerin sowie zu ihrer rechten Seite den hl. Apostel Matthias und zur Linken den hl. Bischof Bonifatius, vgl. https://orthpedia.de/index.php/K%C3%B6nigin_von_Deutschland (aufgerufen am 1.1.2021)

    [48] https://dom-hl-michael.de (aufgerufen am 1.1.2021)

    [49]https://www.facebook.com/105436224698301/photos/p.143709640870959/143709640870959 (aufgerufen am 1.1.2021)

    [50] https://dom-hl-michael.de/orthodoxes-mitteleuropa/heilige-und-reliquien/verehrungsorte (aufgerufen am 1.1.2021)

    [51] Vgl. die Videoaufnahme vom Kreuzverehrungssonntag 11. März 2018: https://www.facebook.com/386034842216649/videos/42639364805363 (aufgerufen am 1.1.2021)

    [52] Vgl. http://www.rok-krefeld.de/de/index.php/news/59-21-02-2016-panorthodoxe-verehrung-der-reliquien-der-hl-maertyrerin-agatha (aufgerufen am 1.1.2021)

    [53] Die antiochenische, serbische und bulgarische Diözese waren zu diesem Zeitpunkt vakant.

    [54] Vgl. http://www.obkd.de/Presseinformationen/Pressemitteilung-OrthodoxePilgerfahrtnachTrier.pdf (aufgerufen am 1.1.2021)

    [55] Vgl. http://www.obkd.de/Presseinformationen/PM%20-%20GesamtorthodoxeVesperimKoelnerDom.pdf (aufgerufen am 1.1.2021)

    [56] Davon zeugen die vielen Neubauten und groß angelegten Umbauten von zuvor evangelischen oder römisch-katholischen zu orthodoxen Kirchen, die in jüngster Zeit erfolgt  sind und einen erheblichen finanziellen und arbeitsmäßigen Einsatz erforderten. Sie belegen deutlich, dass sich die orthodoxen Gemeinden hier und heute nicht als temporäre Einrichtungen verstehen, sondern mittel- und langfristig für die Zukunft ihrer Kinder und Enkelkinder planen.

    [57] Vgl. zu ihm und seinem Lebensweg: Nikolaj Thon, Erzpriester Sergius Heitz – Zu seinem 100. Geburts- und 10. Todestag, in: Orthodoxie aktuell - Informationen aus der Orthodoxen Kirche, Jg. 12, Nr. 10 (Oktober),  Dortmund 2008, 2-8.

    [58] S. Heitz, Orthodoxie hierzulande, in heutiger Zeit?, in: Orthodoxe Parochie zu den heiligen Erzengeln - Parochiale Monatsblätter für den Monat Juni 1983, Düsseldorf, S. 11 f.; vgl. auch seinen Beitrag „Orthodoxie und Mission“ als Beilage zu den Parochialen Monatsblättern vom November 1983, wo Erzpriester Heitz erneut den Auftrag der Orthodoxen Kirche „auf dem heute sog. ökumenischen Feld“ hervorhebt, aber auch warnt: „Es sei auch betont, dass wir Orthodoxe keinen Anlass zu einem Triumphalismus haben, zumal wir die Gabe Gottes ‚in zerbrechlichen Gefäßen' tragen und sie allzuoft verraten.“ Ferner: S. Heitz, Orthodoxie und Mission, in: Orthodoxe Orientierung - Zehn Jahre Orthodoxe Fraternität in Deutschland, o.O. u. o.J. [Köln 1989], S. 38 f.

    [59] Selbst von den Gemeinden, in denen Erzpriester Sergius wirkte, haben zwei inzwischen durch die zahlreichen neuen Gemeindemitglieder aus der früheren UdSSR einen ganz bis überwiegend russischen Charakter erhalten. Lediglich seine „Urgemeinde“ ist weiterhin erklärtermaßen deutschsprachig (inzwischen in der griechischen Metropolie), vgl. http://orthodoxdus.de (aufgerufen am 1.1.2021).

    [60] Vgl. grundlegend zum Thema der Entstehung autonomer Kirchen: Metropolit Serafim, Die orthodoxe Diaspora – Die Autonomie und der Modus ihrer Proklamation, in: Henkel, Die Orthodoxie, 68-73.

    [61] Vgl. zum Entstehen der Kommission: Nikolaj Thon, „Weder demokratisch, noch monarchisch, sondern synodal“ – Vor 25 Jahren wurde die KOKiD gegründet,  Orthodoxie aktuell – Informationen aus der Orthodoxen Kirche, Jg. 23, Nr. 6 (Juni), Dortmund 2019, 2–6; Organ der orthodoxen Einheit, KNA - Ökumenische Information, Nr. 20 –- 14. Mai 2019, Bonn 2019, I–IV. - In den ersten Jahren seines Bestehens, nämlich von 1994 bis 2006, war die Arbeit des KOKiD geprägt von der dynamischen und visionären Persönlichkeit seines ersten Vorsitzenden, des Lehrstuhlinhabers für Orthodoxe Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Professor Dr. Dr. Anastasios Kallis. Vgl. über ihn: Ein Visionär der Orthodoxie - Professor Anastasios Kallis zum 65. Geburtstag, Orthodoxie aktuell - Informationen aus der Orthodoxen Kirche, Jg. 3, Nr. 8 (August), Wuppertal 1999, 9-11.          

    [62] Vgl. zum Wirken der OBKD seit 2010: Metropolit Augoustinos (Labardakis), Ein zehnjähriger Pilgerweg, Orthodoxie aktuell – Informationen aus der Orthodoxen Kirche, Jg. 24, Nr. 10-11 (Oktober - November), Dortmund 2020, 2–6.

    [63] Vgl. die Satzung der OBKD: http://www.obkd.de/Texte/OBKD%20-%20Satzung.pdf (aufgerufen am 1.1.2021)

    [64] https://elechan.wixsite.com/ojb-deutschland; http://www.roj-deutschland.de/index.php/2016-01-27-18-40-51/15-orthodoxer-jugendbund-deutschland-e-v ; https://de.wikipedia.org/wiki/Orthodoxer_Jugendbund_Deutschland; (alle aufgerufen am 1.1.2021).

    [65] Vgl. den Text der Mustersatzung: http://www.obkd.de/Texte/Mustersatzung%20-%20OPK_.pdf (aufgerufen am 1.1.2021)

    [66] Vgl. das Merkblatt zu den Fernsehgottesdiensten: http://www.obkd.de/medien/Hinweise%20Orthodoxe%20Fernsehgottesdienste.pdf (aufgerufen am 1.1.2021)

    [67] https://www.domradio.de/themen/interreligi%C3%B6ser-dialog/2019-04-04/erzpriester-miron-ist-neuer-vorsitzender-der-ack (aufgerufen am 1.1.2021)

    [68] https://www.facebook.com/Orthodoxieaktuell (aufgerufen am 1.1.2021)

    [69] Vgl. alle Texte im vollen Wortlaut: http://theologie.obkd.de – Eine zusammenfassende Darstellung: Nikolaj Thon, „Mit einer Stimme" – Theologische Erklärungen der Orthodoxen Kirche in Deutschland, KNA – Ökumenische Information, Nr. 129/30 vom 15. Juli 2014, Bonn 2014, Dokumentation I–V.

    [70] Vgl. Anm. 7.

    [71] Hier gab es allerdings in den letzten zwei Jahren deutliche Belastungen, ausgelöst durch die einseitige Autokephalieerklärung für einige bislang allseits als schismatisch gesehene Gruppen in der Ukraine von Seiten des Patriarchats Konstantinopel, die sich auch negativ auf die orthodoxe Zusammenarbeit in Deutschland auswirkten und deren hoffentlich baldige Überwindung eine notwendige Voraussetzung für den weiteren Ausbau der Kooperation sein wird, vgl. Nikolaj Thon, Соборность или примат? - Основной вопрос жизни Православия в диаспоре (Vortrag bei der Internationalen Konferenz zum 100-jährigen Jubiläum der Autonomie der Estnischen Orthodoxen Kirche, Tallinn 2020), https://www.youtube.com/watch?v=m7kG2X6qCLA (ab 1:01) (aufgerufen am 1.1.2021)

    [72] Kursiv im Original.

    [73] Metropolt Serafim, Diaspora, in: Henkel, Orthodoxie, 69.

  4. Lernt euch kennen, das ist Anna. Einmal kam sie zu Weichnachten zu ihrer Oma aufs Dorf. Ehrlicherweise muss man sagen, dass Anna nicht gern gelesen hat. Aber wie sehr mag sie es, wenn man ihr Geschichten erzählt! Besonders, wenn es die Oma ist.

    Oma Ludmila setzt sich zum Stricken hin, und sofort kommt Anna angelaufen: macht es sich nebenbei bequem, und wartet ungeduldig auf eine Geschichte.

    Anna hat es schon gemerkt, Oma ist etwas listig. Sie erzählt über etwas Einfaches, aber innen drin versteckt sie etwas, wie eine Nuss in der Schale. Und was es ist, ist nicht so einfach zu erraten.

    Setzte euch auch hin, Liebhaber der Geschichten, und hört zu.

    [5] Erster Abend – Schenke mir einen Stern!

    An diesem Abend machte es sich Anna am gefrorenen Fenster bequem. Sie presst den Finger an die Fensterscheibe eine Zeit lang, und in dem durchsichtigen Ornament taut ein dunkler Kreis auf. Durch ihn sieht man die verschneite Welt, wie sich die Schneeflocken tummeln und um die Wette fliegen. Der Himmel wird mal schwarz, mal wieder heiter. Es ist nur schade, dass man nichts mehr sehen kann. Ah, ist es bei Oma auf dem Dorf langweilig, und auch noch zu Weihnachten!

    „Anna“, rief Oma, „warum bis du so betrübt?“

    „Ich langweile mich!“, antwortete Anna und blies auf das Fensterglas.

    „Wie denn das? Um uns herum sind doch nur Wunder!“

    „Omi, wo? Es schneit doch nur. Und ist auch noch dunkel.“

    „Jede Schneeflocke – ist ein Wunder. Einfaches Wasser, das zu Spitzen[1] erstarrt ist! Und in der ganzen Welt gibt es keine Zwei, die gleich sind!“

    „In der ganzen Welt nicht?“

    Oma fing an zu lächeln, denn Anna wandte sich verwundert vom Fenster weg.

    „Dann erzähle mir eine Geschichte. Über Wunder.“

    „Über Weihnachtswunder.“

    Anna stimmte zu. Sie würde auch gerne eine Geschichte über Weihnachtswunder hören. Sie legte ihr Kinn auf die Hände und machte sich bereit zuzuhören.

    ***

    [6] Die Prinzessen lief weg. Alsbald die Hofdame einnickte und der Kutscher die Pferde anhielt, sprang die kleine Prinzessin aus der Kutsche und lief los.

    Eins, zwei – und sie lachte los, nachdem sie sich auf dem Baum gesetzt hatte. Die Hofdame, die Diener und der alter Kutscher holten sie nur langsam ein.

    Und doch erreichte die Verfolgung Elsa.

    „Kommt runter, seid nicht unartig!“, ächzte der Kutscher.

    „Wünsche ich nicht!“

    „Klettert hinab, Eure Hoheit!“, flüsterte ein Lakai.

    „Will ich nicht!“

    „Sofort runter!“, wurde eine Hofdame wütend.

    „Nein!“

    „Soo!“, sagten alle drei zusammen. „Dann – rufen wir den König.“

    Die kleine Prinzessin Elsa seufzte und wurde traurig. Aber bis der König eintraf, kam sie auch nicht vom Baum herunter.

    „Was ist passiert?“, wunderte er sich. „Sind denn der ganze Lärm und die ganze Aufregung wegen einem kleinen Mädchen?“

    Hier musste die Prinzessin runter, auch wenn sie sich ärgerte und schmollte. Was soll man denn machen, wenn seine Hoheit bittet?

    Endlich sprang der Schelm runter, schüttelte sich ab und schleppte sich zur Kutsche. „Ah“, dachte die Prinzessin und runzelte die sommersprossige Nase, „es gibt in der Welt keine schwerere Arbeit, als jemandem zu gehorchen.“

    Am Abend fand sie sich aus den Decken und Kissen, machte die Tür fest zu und klettere auf die Fensterbank. Die Sterne winkten ihr zu:

    „Sei nicht traurig, Elsa!“

    [8] Der Wind ging durch ihre Haare, die von verschnörkelten Frisuren befreit waren. Als ob sie allein war, und die ganze Welt mit ihr sprach. Oder Der, Der immer in der Nähe ist.

    Elsa machte es sich bequem und lies die Füße von der Fensterbank baumeln. Tief unten war der königliche Garten zu sehen: grade geschnittene Wiesen, Beeten in richtigen Figuren, tadellos geschnittene Bäume. Sie hob ihre Augen zu den Sternen. Das waren diejenigen, die sich nicht aufreihten, nicht alle zusammen, wie zu Befehl winkten, es war schön, sie anzuschauen. Offensichtlich hat sie Jemand Sorgsamer und Guter auf aufgehängt.

    „So sitzt du alleine“, dachte Elsa, „aber bist es nicht. Jemand ist in der Nähe, Jemand beobachtet dich immer.“ Mit diesen Gedanken schlief sie unmerklich ein.

    Morgens gab es in der Burg ein Tumult: Ihre Hoheit wurde schlafend auf der Fensterbank gefunden, neben dem offenen Fenster! Der König schleuderte Donner und Blitze. Die Hofdame wurde gefeuert, und der Prinzessin selbst stand ein Rüffel bevor.

    „Was fehlt dir denn?“, frage der König betrübt. „Denn alles, was man nur ausdenken kann, hast du, selbst einen Spielzeugstern!“

    „Ich möchte selbst entscheiden! Aber es gibt nur Regeln über Regeln. Rechts und links. Hier und da.“

    „Warum sind denn Regeln schlecht? Ich bin der Meinung, dass sie sehr praktisch sind!“

    „Ich möchte aber wie die anderen sein! Ich möchte zusammen mit Kindern spielen und auf Bäume klettern! Und alles Selbst entscheiden!“

    Der König schaute finster drein und seufzte.

    Aber die launische Elsa blieb stur, empört und trat mit den Füßen:

    „Ich will keine Prinzessin sein. Ich will selbst! Selbst! Selbst!“

    So trennten sie sich, verärgert und betrübt. Jeder war der Meinung, dass er nicht verstanden wird. Die Prinzessin saß nicht mehr auf der Fensterbank, schaute nicht in den Garten, blicke nicht zum Himmel, und die Sterne blinzelten ihr nicht zu. Anstatt dieser so interessanter Beschäftigungen schmollte sie, war beleidigt und wollte nicht in ihr Bett zurückkehren.

    [9] Auch der König konnte nicht schlafen. „Was soll ich denn mit meinem ungehorsamen Mädchen machen?“, dachte er nach. „Wie kann ich ihr beibringen, gütig zu sein, nicht starrsinnig und sich nicht nur um sich selbst zu sorgen?“ Aber letztendlich fing er an zu lächeln. Es ist ihm nämlich eingefallen, welche Überraschung er ihr servieren kann. Und er schleif ein – glücklich und zufrieden.

    „So“, verkündete er morgens, „wenn du bereits alles hast, was man sich nur wünschen kann: Puppen, Kleider, ohne über den eigenen Spielzeugstern zu sprechen, möchtest du denn selbst über eine Angelegenheit entscheiden?“

    „Hurra!“, sprang Elsa vor Freude los.

    Und erklärte der neuen Hofdame:

    „Ich werde die gerechteste Entscheidung auf der Welt treffen.“

    „Das sagen alle, aber das ist viel schwieriger, als auf Bäume zu klettern und Regeln zu brechen.“

    „Sie werden sehen!“, schlussfolgerte die Prinzessin und machte sich zum Tagungssaal auf.

    Und dieser war schon voll. In der Mitte erhob sich ein Thron – ein großer und prachtvoller, für den König. Und in der Nähe wurde ein kleinerer aufgestellt, für die Prinzessin.

    Die Richter schauten seriös und bedeutend: es schien ihnen, dass man so aussehen müsste, um gerecht zu entscheiden.

    Der König wusste schon von allen Angelegenheiten und wählte für seine Tochter das Einfachste aus, das, worauf ein gutes Herz Antworten würde.

    Elsa setzte sich auf den Thron. Alle wurden ruhig und die Wachen führten eine Besucherin herein. Der einzige Sohn der armen Frau war todkrank. Der Junge hieß Paul. Die Frau konnte deshalb ihre Schuld nicht in den Staatsschatz zurückzahlen.

    Das Unglück in den Augen der Mutter, die Angst hatte, ihren Sohn zu verlieren, würde jeden erweichen.

    „Was möchtest du?“, fragte der König.

    „Den Nachlass der Schulden. Und noch etwas“, fügte sie schüchtern hinzu, „wenn ich fragen dürfte. Paul träumt von einem Stern. Und Ihre Hoheit hat einen. Vielleicht stirbt er bald, vielleicht dürften wir ihn nur für eine Zeit haben…“

    Natürlich musste man die Schuld erlassen und sogar dem kranken Paul den Stern schenken, und Elsa hat es verstanden.

    [11] Und der König wartete, dass sie „ja“ sagt. Die ernsten Richter schauten ungeduldig, die Zuschauer saßen wie auf Nadeln. Und alle wussten bereits, was sie antworten würde. Das war der Vater – er wählte eine Angelegenheit, die man nicht anders entscheiden könnte.

    Und hier wurde Elsa so ärgerlich! Es schien so, als ob die Beine sie von selbst nach vorne trugen und die Lippen wie selbstständig aussprachen:

    „Ich sage nein!“

    Der König wurde betrübt, nahm die Tochter am Arm und führe sie heraus aus dem Saal.

    „Geh sofort zurück und berichtige alles!“

    Aber die sture Prinzessin schwieg.

    „Du hättest den Jungen glücklich machen können! Du hast das, wovon er geträumt hat!“

    „Ich möchte aber nicht!“, ärgerte sich die Prinzessin immer mehr. „Du hast doch sowieso schon alles für mich entschieden!“

    „Ich habe dir nur die Möglichkeit geschenkt, ein Wunder zu vollbringen. Denn nicht jeder kann ein Zauberer werden, es reicht, sich umzuschauen. Aber du möchtest es nicht, denn für dich ist dein Starsinn wichtiger.“

    Mit diesen Worten wandte sich der König ab und ging weg.

    Elsa mache sich auf in den Garten. Auf ihrer Seele war es elend: die Katzen kratzten.

    Die Hofdame kam mit dem Gefolge nicht zu nah an sie heran und beobachteten aus der Ferne.

    Sogar der Garten hat sich wegen Elsas Ärger verändert: der Wind machte die Frisur absichtlich kaputt, die Steine bemühten sich unter ihre Füße zu kommen. Die Prinzessin wollte eine Rose abreißen – und stach sich. Sie beugte sich, um die Katze zu streicheln, aber diese kratzte sie.

    „Ach du abscheuliche!“, sagte Elsa gekränkt.

    „Du kannst solange schmollen, wie du willst“, antwortete die Katze und drehte sich weg.

    „Warum hast du mich angegriffen?“

    „Wirst du mir denn glauben?“

    „Sprich.“

    „Damit du verstehst, wie sehr es anderen Menschen weh tun kann. Es ist schade, dass ich keine Biene bin, und dich nicht stechen kann!“

    [12] „Bist du böse!“

    „Bin ich nicht. Nur ist jemand überheblich geworden und ist nun so aufgeblasen und ungehorsam, dass er sogar aufgehört hat, Nachts auf der Fensterbank zu sitzen und mit den Sternen zu sprechen.“ Die Katze trat von einem Fuß auf den anderen. „Und du hast aufgehört über Den nachzudenken, Der immer in der Nähe ist!“

    Die Prinzessin wurde nachdenklich und hörte auf, sich zu ärgern.

    „Du hast recht, ich werde dich für deine Tat nicht bestrafen“, sagte sie. „Und morgen komme ich wieder.“

    Es wurde dämmerig. Die Sterne haben angefangen zu scheinen, der Garten wurde dunkel, und die Prinzessen saß vor dem Fenster, in sich vertieft und leise. Und dann rief sie die Hofdame zu sich.

    Es ist nicht bekannt, worüber sie sich flüsterten, aber es ist genau bekannt, dass die Prinzessin sich mit ihrem Vater versöhnte und über die Angelegenheit gerecht entschied. Mehr noch – jemand ist zu dem kleinen Paul aufs Dorf gegangen und hat ihm den Stern geschenkt, das beste Spielzeug im ganzen Königreich.

    ***

    „Oma! Das Wunder – ist nicht echt!“, schrie Anna auf.

    „Ein wirkliches Wunder“, erwiderte die Oma.

    „Aha, aber Elsa hat zuerst Unheil angerichtet, und dann sich wieder besinnt. Und den Stern schenkte sie, um sich zu versöhnen. Das ist unfair.“

    „Aber sie hätte ihn nicht schenken können!“

    „Trotzdem“, wurde Anna beleidigt. „Ist das denn ein Wunder? Erstens – woher kann man einen Stern nehmen? Zweitens, wo kann man einen solchen Paul finden, der von etwas träumt, das du hast?“

    „Und wenn man sucht?“, und Oma schaute listig-listig.

    „Wo denn das?“

    [13] „Denkt doch darüber nach, wenn du einschläfst. Vielleicht gibt es um dich herum eine Menge solcher Mädchen und Jungen, denen du einen Stern schenken kannst?“

    [15] Zweiter Tag – Die Blüte am Kaktus

    Wenn du auf den Abend wartest, zieht sich der Tag absichtlich in die Länge. „Interessant, worüber wird Oma heute ihr Märchen erzählen?“, dachte Anna nach. „Vielleicht über Schneepflocken? Oder über Bäume?“ Es schien Anna, als ob immer neue Hausarbeiten anfallen würden. Und zwar aus Schädlichkeit, damit Oma ihr nicht die Geschichte erzähle.

    Endlich nahm Oma Ludmlia die Stricknadeln und setzte sich aufs Sofa.

    „Was ist nun mit dem Wunder von gestern?“, fragte sie.

    „Was denn?“

    „Du hast gesagt, es wäre nicht echt.“

    „Nun, ich habe es mit anders überlegt!“

    „Na, dann können wir auch zum Nächsten übergehen.“

    Anna machte es sich bequem und bereitere sich zuzuhören.

    ***

    Die Geschichte ereignete sich vor nicht all zu langer Zeit, in eine sehr, sehr großen Stadt. Hier gab es jede Menge Straßen, in jeder Straße – huderte Häuser, und in jedem Haus – tausende Wohnungen. Und niemand konnte mehr zusammenzählen, wie viele Menschen hier lebten. Aber seltsam – je mehr Bewohner sich in der Stadt ansiedelten, desto einsamer fühlten sie sich.

    [16] In einer der Straßen, in einem der Häuser, in einer normalen Wohnung, lebte eine der vielen einsamen Frauen mit dem Namen Veronika.

    Um sich nicht langweilen zu müssen, hat sie sich entschlossen, eine Blume anzuschaffen. Am nächsten Tag haben die zärtlichen Hände schonend ein Blaues Veilchen in einen Topf verpflanzt und zum Licht gewendet. Das Veilchen streckte die Blätter in Richtung Sonne aus und sagte:

    „Seinen Sie so gnädig, schließen Sie das Fenster, ich kann Zugluft nicht ertragen.“

    Vor Verwunderung erstarrte Veronika auf der Stelle.

    „Können Blumen denn sprechen?“

    „Ist es denn nicht offensichtlich? Aber, so scheint mir, wurden Sie gebeten, das Fenster zuzumachen?“

    Veronika hat nicht nur diese Bitte erfüllt, sondern kümmerte sich bis zum Abend um das Blaue Veilchen. Der Character der Blume war launisch. Schon bald hat Veronika ihr Freunde angeschafft. Nun versank das ganze Zimmer in Veilchen: weißen, weinroten, blauen. Und in der Küche siedelte sich ein Zitronenbaum an.

    Die Veilchen erwiesen sich als äußerst nörglerisch und launenhaft. Zum Glück war Veronika selbst herzensgut. Sie liebte Blumen und hat all ihre Launen ertragen.

    Und nun, an einem leisen sommerlichen Abend, klingelte es an der Tür. Auf der Türschwelle stand eine Nachbarin mit einem Kaktus in den Händen. Er war hässlich: dick, hell-grün, mit moor-grauen Stacheln.

    „Wir fahren weg, könnten Sie auf unseren Pflegling aufpassen?“, fragte sie. „Er ist anspruchslos. Und wenn mann anfängt, ihn zu lieben, dann wird er sogar aufblühen!“

    Es scheint so, dass der Kaktus in Gegenwart der Nachbarin stumm blieb. Veronika konnte sich nicht mal vorstellen, wie so ein dickes stachliges Scheusal sprechen wird.

    „Gut“, stimmte sie mit dem Herzen knirschend zu. „Wann kommen Sie denn wieder?“

    „In einem Monat“, lächelte die Nachbarin. Und ging weg.

    Und Vika erstarrte im Flur mit dem Kaktus in den Händen. Je länger sie ihn betrachtete, desto weniger gefiel er ihr. „Wozu braucht man denn so ein Scheusal?“ Mit diesem Gedanken berührte sie eine Stachel.

    „Nimm deine Hände weg!“ kreischte der Kaktus mit einer widerlichen hohen Stimme. Und stach sobald Vikas Finger.

    Vika dachte eine Minute nach. Dann siedelte sie den schreienden Kaktus zu den Veilchen, die ihn mit großem Interesse betrachteten.

    „Erlauben Sie, Ihren Namen zu erfahren?“, sprach das Weiße Veilchen.

    „Der geht dich nichts an“, antwortete er bissig und drehte sich weg.

    Die Veilchen wurden fürchterlich beleidigt, und Viktoria seufzte und schleppte sich in die Küche, wo der Zitronenbaum stand. Dort bleib sie bis zum Nachteinbruch sitzen, und ging schlafen, ohne zu den Blumen reinzukommen.

    Morgens wachte sie wegen eines Lärms auf. In dem Blumenraum wurde laut debattiert. Das war der Kaktus, er ärgerte sich, provozierte alle, und schien deswegen noch abscheulicher zu sein. Die Veilchen wurden beleidigt und neigten ihre Blüten. Sogar Viktoria wurde während des Giesens zwei Mal vom Kaktus gestochen.

    „Willst du, dass meine Wurzeln vom Wasser anfaulen?“, brummte er. „Mach dich lieber gleich davon!“

    Die Veilchen empörten sich. An einem Tag trockneten ihre Blätterspitzen ab, und bis zum Abend entsprang keine einzige Knospe.

    „Streithahn und Grobian!“, schüttelten sie die Köpfe. „Ihr seid ganz unerträglich.“

    Der Kaktus antwortete auf die selbe Weiße.

    Und Viktoria versteckte sich wieder in der Küche und wurde traurig. Sie hat immer gedacht, dass sie jeden Blume lieben könnte. Aber jetzt konnte sie nichts mit sich machen: sie fühlte, dass sie diesen Kaktus hasst.

    In der Wohnung stand ein ständiger Heidenlärm: die Veilchen entrüsteten sich, der Kaktus schrie und randalierte.

    Der Zitronenbaum lies ein Blatt fallen und sagte:

    „Dein Fehler ist, dass du willst, dass er sich wie ein Veilchen benimmt. Aber er ist doch ganz anders.“

    Veronika seufzte nur. Es schien ihr, als ob es unmöglich wäre, den Kaktus zu lieben.

    Es vergingen mehrere Tage. Die Debatten und Beleidigungen wurde nicht weniger. Die Veilchen ließen die Köpfe hängen und hörten auf zu blühen. Dann trug Vika den Topf mit dem Kaktus ins Schlafzimmer. Er beschwerte sich und versuchte, sie schmerzhaft zu stechen. Aber Vika sperrte ihn trotzdem weg und zog ins Blumenzimmer um.

    [18] Nach einer Woche wurde alle mehr oder weniger ruhig. Die Veilchen haben wieder Blüten bekommen. Aus dem gesperrten Zimmer kamen immer seltener Schreie. Nur Vika machte sich sorgen, weil sie diese unfreundliche Pflanze nicht lieben konnte. In den langen Abenden flüsterte sie mit dem Zitronenbaum.

    Eines Tages ließ sich Viktoria auf der Türschwelle des Zimmers blicken, in dem sie den törichten Zögling eingesperrt hat.

    „Zieh Leine“, sagte er, „ich muss nicht oft gegossen werden!“

    Aber sie ging trotzdem hin, grub die Erde um, goss und düngte diese. Sie pflanzte den Kaktus etwas bequemer in den Topf. Zwar waren ihre Hände zerstochen, in ihren Ohren tönte die widerliche Stimme, aber, bevor sie wegging, machte Sie zu Ende, was sie wollte.

    Ab dahin kam sie jeden Tag zum Kaktus rein und das Brummen wurde immer weniger. Und zwischen den Stacheln kam ein kleiner Zapfen raus. Sie wuchs, und der Kaktus wurde immer demütiger und schweigsamer. Endlich brachte Vika ihn zu den Veilchen zurück. Und, so seltsam es scheint, sie haben auch kein Wort gesagt.

    Der Spross streckte sich und wuchs, und wurde später zu einer Knospe. Vika pflegte den Kaktus und wartete. Beide schwiegen, aber Vikas Hände wurden immer zärtlicher, auf ihnen gab es mittlerweile kein einziges Zeichen von Stachelstichen.

    Und eines Morgens, als die Lichtflecken der Sonne anfingen zu tanzen blühte die Knospe auf. Die schneeweißen Kelchblätter glätteten sich entgegen dem Licht. Vika ha nie eine schönere Blume gesehen.

    Und wieder schwiegen Vika, und der Kaktus, und die Veilchen: es kommt vor, dass Wörter nur stören.

    Am nächsten Morgen kehrte die Nachbarin zurück und erstarrte an der Türschwelle vor Verwunderung.

    „Das ist doch ein Wunder!“, rief sie auf.

    ***

    Anna und Oma schwiegen ebenfalls, wie die Veilchen.

    „Du denkst, das ist ein echtes Wunder?“, fragte Anna.

    „Was denkst du denn selbst?“

    „Verstehst du Oma, irgendwie ist es nicht wundersam.“

    „Also denkst du, dass dieser Kaktus auch ohne Vika aufblühen würde, wenn seine Zeit gekommen wäre?“

    „Nein“, wurde Anna beleidigt, „Aber andere Kaktusse blühen auch.“

    Mit Zweifel schaute sie zu Oma:

    „Erzählst du mit morgen noch mehr?“

    „Du kennst die Abmachung, nur wenn du das heutige Wunder als echt anerkennst. Abgemacht?“

    [21] Dritter Abend - Brich durch zur Sonne!

    „Macht es dir bequem“, sagte Oma am nächsten Abend. „Weichnachten kommt immer näher, und es gibt immer mehr Wunder. Was denkst du über das gestrige?“

    „Ich denke, es war ein echtes“, lächelte Anna, „weil Vika um jeden Preis diesen verärgerten Kaktus lieben wollte. Und ohne Liebe würde er niemals aufblühen.“

    Oma war zufrieden.

    „Über wen erzählst du heute?“, konnte es Anna nicht lassen.

    „Über eine Blume. Über welche möchtest du? Über eine Rose?“

    „Nein, ein weißer flaumiger Löwenzahn!“

    „Gut. Dann über einen Löwenzahn!“, und Oma begann die Geschichte.

    ***

    Unsere Geschichte beginnt am Ende des Sommers. Bei einem Fluss, dort, wo der Wind das grüne Graß schaukelt, wuchs ein Löwenzahn. Der Wind hat ein Spiel veranstaltet: er begann, von ihm die Federn wegzutragen. Die Mutter-Löwenzahn sagte ihren Kindern-Federn zum Abschied, als sie sie in die Freiheit entließ:

    [22] „Bricht durch zu Sonne! Wenn über euch Erde, trockene Blätter oder Wurzeln sind, ganz egal was, sprosst um jeden Preis! Habt ihr es gemerkt? Und nun – fliegt!“

    Der Wind fing die Federn auf und fing an, sie im Kreis zu drehen. An jeder war ein Samen – ein zukünftiger Löwenzahn. Der Wind, ein Schelm und Schlingel, drehte und warf sie. Mal trieb er sie runter, mal hob er sie in die Höhe. Die Kinder sind weit von ihrer Mutter weggeflogen und irgendwo gelandet. Die Einen – in einem Gemüsegarten, die Anderen – in einem wieten Feld, die dritten – am Waldrand. Ein Samen fiel auf einen Fahrweg. Hier, auf der festgestampften Erde, war es nicht einfach durchzusprossen.

    „Macht nichts“, beruhigte sich der zukünftige Löwenzahn, „ich werde zufrieden sein, dass ich am Straßenrand bin, und nicht in der harten Fahrspur!“

    Und er ist zu dem Zeitpunkt still geworden, bis das Tauwasser im Frühling ihn nicht geweckt hat. Als er einschlief, hatte der junge Löwenzahn gemerkt, wie der Wind auch andere Samen, seine fernen Verwandten, herbeigeschleppt hat.

    Aber der Wind wurde immer launenhafter, wurde böser und kälter. Eines Tages kamen Menschen in orangen Westen angefahren und bedeckten die Trasse mit Asphalt. Dann war der Herbst vorbei. Der Winter ließ die Schneeflocken bereits auf die neue Bedeckung der Straße fallen. Nach dem Winter, wie immer, brach der Frühling ein.

    Endlich haben die Regen und Bäche die Erde gut getränkt, und der Löwenzahn ist aufgewacht. Und nun erinnerte er sich an Mamas Worte: „Brich durch zur Sonne!“ Aber wie soll man das Machen, wenn es drum herum dunkel-dunkel ist und die Sonne nie durchscheint? Weder er, noch eine Nachbarn haben gewusst, dass sie unter dem Asphalt sind und die Sonne niemals sehen werden.

    Doch unterdessen hat sich unser Löwenzahn entschlossen, eine Wurzel zu lassen und sich etwas zu nähren.

    Um ihn herum sind auch andere Samen aufgewacht, seine Brüder und Schwestern: das grüne Gras, die Brennnesseln, Stacheln, Klee und sogar Reinfarn.

    [23] Der Löwenzahn hat es nicht geschafft, sich mit allen ausführlich bekannt zu machen. Mamas Worte sind ihm wieder eingefallen. Es gab noch keine Sonne, aber von irgendwo oben kam Wärme. Der Löwenzahn hat eine Knospe herausgelassen, und stieß mit ihr in den Asphalt.

    Andere Löwenzähne, Klee, Brennnesseln, Stacheln und Rainfarne haben ebenfalls Knospen gelassen, aber habe nicht nach oben gestrebt.

    „Guten Morgen“, sagte der Klee.

    Alle haben sich ebenfalls begrüßt. Nur der Löwenzahn hat nichts gehört. Er schlug sich zur Sonne durch.

    „Es scheint so, als wäre unter uns ein Grobian“, brummte eine Brennnessel.

    „Er denkt, er wäre schlauer, als die anderen“, stimmte die Stachel zu.

    Das grüne Grad sagte nichts, und die Rainfarne hielt sich für zu vornehm für ein solches Gespräch.

    Die Sonne wärmte den Asphalt, schenkte Wärme, und jeder ließ ein Blatt heraus. Andere Löwenzähne haben nicht angefangen sich zu strecken und zu stemmen, sondern haben sich mit ihren Blättern zur Erde geneigt, denn so wachsen Löwenzähne. Auch die Brenneseln, und alle anderen legten sich auf die Erde. Nur unser Löwenzahn strebte mit allen seinen Blättern nach oben. So lehrte ihn seine Mutter.

    Letztendlich hat es die Brennnessel nicht ausgehalten:

    „Sagen Sie mal, wie wichtig Sie doch ist! Warum wollen sie nicht wie alle anderen leben? Halten Sie sich für etwas besseres?“

    „Was streben Sie an?“, fragte der Klee.

    Der Löwenzahn hörte auf, sich nach oben zu strecken, guckte sich um und antwortete einfach:

    „Meine Mutter sagte mir zur Sonne zu streben, egal, was es kostet!“

    Hier hat es auch die vornehme Rainfarne nicht ausgehalten und mischte sich ins Gespräch ein:

    „Das ist doch veraltet. Ihre Mutter – ist von der Generation des Vorjahrs. Was können sie uns, jungen, schon raten?“

    „Und sie wuchsen anders. Es war nicht so dunkel. Alles hat sich geändert. Darf man denn die Gebote der Mutter befolgen, ohne dabei nachzudenken?“

    Der Löwenzahn wurde betrübt. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Deshalb gab er keine Antwort und stütze sich wieder gegen den Asphalt.

    [24] „Was ist, wenn er es doch zur Sonne schafft?“, zweifelte der treuherzige Klee.

    Doch sofort zogen alle gegen ihn los:

    „Er ist einfach ein Stolzer. Er will nicht, wie die anderen sein.“

    „Wieso denkt ihr denn überhaupt, dass es eine Sonne gibt?“, sagte die vornehme Rainfarne.

    „Tatsächlich, wer von euch hat sie gesehen?“, stimmte die Stachel zu.

    Und sie alle klammerten sich mit ihren blassen Blättern an die Blätter des Löwenzahns, und schrien alle im Chor auf:

    „Sei wie alle, sei nicht stolz!“

    Aber der Löwenzahn streckte sich immer weiter, und stemmte stur nach oben. Er erinnerte sich an die Worte seine Mutter und glaubte ihnen: sie würde ihn nicht betrügen.

    Er hörte nicht mehr, was die anderen sagten, sondern stemmte immer stärker.

    Endlich hat es der Asphalt nicht ausgehalten und ist zerplatzt.

    Aus dem riss kamen die Blätter zum Licht. Die Sonne freute sich, streichelte und glättete sie. Und der zärtlichste Strahl berührte die Knospe, die sich in der Mitte versteckte.

    Die Knospe wuchs und blühte auf – die Blume ähnelte einer kleinen Sonne.

    Zwei Mädchen gingen vorbei, um Pilze zu sammeln. Sie sahen den fröhlichen Löwenzahn, der es durch den Asphalt geschafft hatte.

    „Schau, was für ein Wunder!“, freute sich eine von ihnen.

    Und die andere berührte die Blume mit der Nase, wodurch sie ebenfalls Gelb wie die Sonne wurde.

    Der Löwenzahn war glücklich. Wie schön, dass er auf seine Mutter gehört hatte. Die Warmen strahlen der Sonne wärmten, der Wind glitt durch die Blätter, und ringsum schaukelten sorglos Gräser.

    Zeit ging vorbei, und sein Kopf wurde weiß und flaumig. Der ausgelassene Wind riss die Federn ab und flog sie umher. An jeder war ein Samen.

    [25] Und unser Löwenzahn, wie einst seine Mutter, sagte allen seinen Kindern zum Abschied:

    „Egal was passiert, bricht durch zur Sonne!“

    ***

    „Und was ist mit den anderen“, fragte Anna, als Oma verstummte und mit den Stricknadeln losflimmerte, „sie blieben unter dem Asphalt?“

    „Sie haben sich selbst nicht mühen wollen.“

    Anna wurde nachdenklich.

    „Trotzdem tun sie mir leid.“

    „Lass uns beten und schlafen gehen“, und Oma streichelte Anna über den Kopf. „Lass uns auch zu unserer Sonne durchschlagen.“

    [27] Vierter Abend – Kehr zurück!

    Anna saß hockte in der Ecke wühlte die Tapeten. Als sie alles auswühlte, was sie wollte, huschte sie mit ihrer roten geschwollenen Nase und dachte, dass heute - der grausamste Tag in ihrem Leben sei.

    Zuerst kamen zu den Nachbarn Jungen und riefen Anna spazieren. Dann gingen sie zu dem entfernten Berg, gaben aber der Oma nicht bescheid. Wer kann sich denn schon im Winter nicht im Schnee walzen und nur spät abends nach Hause kommen? Und überhaupt: hätte Oma nicht angefangen, Vorwürfe zu machen, würde Anna denn böse werden und grob antworten? Sie ist doch nicht daran schuld, dass die Nachbarn gekommen sind!

    Uch, wie sauer ist Anna geworden! Sie drehte sich sogar absichtlich weg, als Oma sich in der Nähe hinsetzte und fragte:

    „Bist du immer noch verärgert?“

    Anna wurde nachdenklich.

    „Wann willst du denn beten?“

    „Ich werde nicht beten.“

    Ach, ist es für einen Menschen schwer, der in allem Recht hat.

    „Anna“, sagte Oma zärtlich, „Sitz noch ein bisschen und denk nach. Siehst du, wie schlecht es dir geht? Vielleicht bis du an etwas schuld? Bitte lieber um Verzeihung.“

    Oma ging weg, und Anna blieb noch etwas in der Eckte sitzen. Aus dem Inneren sagte ihr bereits etwas, dass sie nicht recht hatte.

    [28] Nach einer halben Stunde machte sie die Tür auf und schob den Kopf in Omas zimmer. Hier brannte gemütlich eine Lampe, und Oma strickte wie immer.

    „Omi, verzeih mir.“

    Oma umarmte Anna und setzte sie neben sich.

    „Na gut, falls du nicht heilig bist, verzeihe ich dir natürlich! Und Gott verzeiht dir.“

    „Verzeiht er allen?“

    „Allen, die wissen, dass sie schuld sind und um Vergebung bitten.“

    Anna lehnte sich mit dem Kopf an Oma und fragte:

    „Wird es heute keine Geschichte geben?“

    „Doch, wird es!“, lachte die Großmutter. „Darüber werde ich auch das Märchen erzählen.“

    „Nur nicht über mich!“

    „Hab keine Angst, nicht über dich.“

    „Wird es am Ende ein Wunder geben?“

    „Es wird auch ein Wunder geben.“

    ***

    „Es ist gut aus dem Dachzimmerfenster auf die Stadt zu schauen, die vor deinen Füßen liegt!“, so dachte ein alter Schriftsteller, als er bei der Fensterbank saß. In seiner Seele war er ein Poet, weshalb ihm selbst die Stadt herrlich erschien. Dann nahm er seinen Hut ab und winkte seinem Freund dem Märchendichter zu, der ebenfalls vor einem Fenster saß.

    „Wie geht es Ihnen?“, rief der Märchendichter zu.

    „Bestens!“, antwortete der Schriftsteller, obwohl das nicht ganz stimmte.

    „Möchten Sie ein Geschenk?“

    Der Schriftsteller wunderte sich. Aber dann sagte er treuherzig:

    „Natürlich!“

    [30] Und der Märchendichter lief zum Schriftsteller zu. In seiner Hand hatte er ein Ei mit irgendeiner ungewöhnlichen bunten Färbung. Es hat sich herausgestellt, dass er es heute in einem Nest, im Wald gefunden hat und mitnahm.

    „Legen Sie es unter eine Henne. Wie es aussieht wird daraus ein seltener Vogel ausschlüpfen. Und vergessen Sie nicht, einen Käfig zu bestellen!“

    „Wozu?“, wunderte sich der Schriftsteller.

    „Sie sind ein seltsamer Mensch! Ohne einem Käfig wird der Vogel wegfliegen. Das sage ich Ihnen wie ein Märchendichter. Und Märchendichter verstehen mehr vom Leben, als andere.“

    „Und doch werde ich ihn nicht in einen Käfig sperren. Wer weiß, vielleicht werden wir ja Freunde?“

    „Wie naiv Sie sind!“, zuckte der Märchendichter mit den Schultern. „Obwohl, machen Sie es, wie Sie es für richtig halten. Aber ohne einem Käfig wird er wegfliegen.“

    Und Sie sind auseinandergegangen, ohne miteinander zufrieden zu sein. Denn der Märchendichter war der Meinung, dass er alles weis. Und wenn du so denkst, dann kannst du den anderen nicht verstehen.

    Der Schriftsteller legte das Es und die Hennin der Nachbarin, die zu dem Zeitpunkt auf Eiern saß.

    Die Nachbarin schlug die Hände zusammen:

    „Glaubens Sie mir, aus so einem Ei wird ein wunderlicher Vogel rauskommen!“

    Es bleib nur zu warten. Der Schriftsteller wollte sosehr, dass der Vogel ihm ein Freund wird. Und auf einen Freund kann man sehr lange warten.

    Endlich, schlüpften die gelben Küken in die Welt. Der graue Vogel schlüpfte als letzter und schaute mit großer Verwunderung auf die Welt. Nach zwei Tagen holte ihn der Schriftsteller ab, um sich selbst um ihn zu kümmern.

    Schon bald wuchsen dem jungen Vogel rosa Federn. Das war tatsächlich ein ungewöhnlicher Vogel.

    Der Schriftsteller hat wie vorgenommen keinen Käfig gekauft, weil er wollte, dass der Vogel ihn liebt und nach seinem Freien willen bleibt. Der Märchendichter lachte aber nur drüber.

    Der Dichter nannte den Vogel Hypomoni.

    Hypomoni wuchs ausgelassen und neugierig auf. Er liebte es, das Tintenfass zu bewegen und umzustoßen. Die Tinte goss sich über den Tisch. Die Körne, mit denen er von seinem Herrchen gefüttert wurde, verstreuten sich, das Papier viel auf den Boden. Hyponomi amüsierte sich, doch der Schriftsteller ertrug das alle und wollte ihn unter keinen Umständen in den Käfig sperren. Er hoffte, dass Hyponomi anfängt, ihn zu lieben.

    Und der Dichter sah, dass der Schriftsteller das Fenster nicht zumachte und brummte: „Wir wissen, was das Ganze endet.“

    Hyponomi wuchs immer weiter, und wurde immer schöner. Er wurde zu einem exotischem Vogel mit rosa-goldenen Federn. Sogar die Nachbarkinder kamen zusammen, um auf ihn zu schauen.

    Einmal ging der Schriftsteller weg, und Hyponomi wurde besonders unartig: kippte die Tinte über einem neuen Roman und vergoss Wasser. Außerdem ließ er Blumen fallen, die in Töpfen auf der Fensterbank der Dachgeschosswohnung standen. Er verstand auch selbst, dass das zu viel war.

    Auf der Dach saß eine Krähe und beobachtete ihn.

    „Es scheint, als ob es besser für dich wäre, wegzufliegen“, krähte sie. „Natürlich, wenn du nicht hören möchtest, was Herrchen sagt.“

    Die Worte der Krähe haben Hyponomi erschrocken. Denn früher hatte er vor seinem Herrchen niemals angst.

    „Nun wird er dir nicht verzeichen“, fügte die Krähe hinzu. „Er wird dich für eine lange Zeit in den Käfig sperren.“

    Aber Hyponomi hat es nicht geschafft, wegzulaufen. Die Tür öffnete sich und der Besitzer kam herein.

    „Ich fliege weg“, sagte Hyponomi ganz unerwartet für sich selbst. „Dein Zuhause – ist wie ein vergoldeter Käfig.“

    Der alte Schriftsteller schwieg.

    Doch Hyponomi konnte sich nicht mehr bremsen.

    „Ich möchte Freiheit, und dieser hast du mich beraubt. Du hast mir nicht erlaubt, die Welt zu sehen. Lebe wohl! Warum schweigst du?“

    Der Schriftsteller flüsterte:

    „Kehr zurück, ich werde immer warten.“

    „Nein! In die Freiheit!“, schrie Hyponomi und flog in die Lüfte.

    Die Krähe flog natürlich nicht hinterher, damit man sie in nichts verdächtige.

    Der Märchendichter sah und hörte alles. „Es ist offenbar“, entschied er, „dieses Märchen – hat ein tragisches Ende.“ Dich das war nicht die Wahrheit.

    Aber höre weiter, und du wirst verstehen, wie er irrte.

    [33] Hyponomi flog, freute und amüsierte sich. Wie leicht und frei! Auch der Tag war hell. Nach oben, nach unten, nach oben, nach unten schwang er mit den Flügeln und freute sich über den Flug. Aber als er müde wurde, setzte er sich auf einen Ast.

    Das war ein Randgebiet der Stadt.

    „Hallo!“, riefen ihn die Spatzen. „Woher kommst du so einer?“

    „Ich weiß nicht, ich bin von meinem Herrchen weggelaufen.“

    „Also bist du jemandes?“, ließ der flinkste Spatz nicht locker.

    Hyponomi stemmte die Arme in die Seiten und streckte die Brust hervor:

    „Ich bin ein freier Vogel!“

    Die Spatzen schauten verständnisvoll zueinander.

    „Alle Neulinge sagen das.“

    Aber Hyponomi tat so, als ob er es nicht gehört hätte.

    Bis zum Abend flogen sie, sprangen über Äste und amüsierten sich. Und wurde ziemlich hungrig.

    „Wer füttert euch?“, fragte Hyponomi.

    Als Antwort lachten alle.

    „Und was ist mit den Samenkörner zum Abendessen?“

    Doch solche Fragen erheiterten die Spatzen noch mehr.

    Danach haben sie bei den Mülltonnen Brotkrümel gesucht und Brotstückchen von Fensterbänken geklaut. Und als die Sonne unterging, sind sie direkt auf Ästen eingeschlafen.

    Hyponomi wurde an diesem Tag sehr hungrig. Und er wollte so sehr essen! Vor Hunger konnte er nicht schlafen, außerdem hatte er Angst, im Schlaf von Baum runterzufallen. Die Laune ging gänzlich in den Keller.

    „Macht nichts, Hyponomi“, tröstete er sich. „Dafür bist du ein freier Vogel: spazierst, wo du es nur willst.“

    Aber der Hunger meldete sich stets, und schon bald musste er nur dahin fliegen, wo man Krümel finden konnte. So lebte er also mit den Spatzen auf dem Baum. Und näherte sich an Mülltonnen und Fensterbänken von Gaffern. Seine Flügel wurden grauer und kürzer. Und die goldenen Spitzen konnte man ganz vergessen.

    Nachts wachte er auf und war traurig. Es wäre schön, zum Besitzer zurückzukehren. Aber er schämte sich. Was ist, wenn man den armen, schmutzigen Vogel nicht wiedererkennt? Was ist, wenn auf dem Dachboden, am Fenster bereits ein neuer Hyponomi wohnt? Und doch kamen die Worte „kehr zurück“, die vom Besitzer zum Abschied gesagt wurden, so oft in Erinnerung.

    Die Krähe kam zu Besuch.

    „Denk nicht mal dran!“, belehrte sie. „An der Stelle des Besitzers würde ich dich gar nicht ins Haus lassen.“

    Dann wurde Hyponomi noch trauriger.

    An einer ebenso traurigen Nacht, setzte sich auf den Ast eines Nachbarbaums ein Uhu.

    „Uh! As ist das für ein Vogel?“

    „Ich bin Hyponomi“, antwortete Hyponomi.

    „Von solchen habe ich nichts gehört. Bis du nicht zufällig von deinem Herrchen weggelaufen?“

    „Bin weggelaufen.“

    „Dann kehr doch zurück! Du bist doch häuslich. Und dein Härrchen wartet bestimmt ungeduldig!“

    „Die Krähe sagt aber, dass er mich nicht zurücknehmen wird!“

    „Uh! Hast aber einen guten Ratgeber gefunden. Dein Besitzer leibt dich und wartet. Flieg nach Hause!“

    „Ich habe angst. Und schäme mich.“

    „Uh! Flieg! Und hör auf niemanden!“, und der Uhu schlug mit den Flügeln.

    Hyponomi erhob sich in die Luft. Über der Stadt sammelten sich Wolken. Aber der häusliche Vogel hat es verstanden, wenn er jetzt nicht losfliegt, dann wird er sich niemals wieder dazu entschließen. Direkt vor dem Haus kam über ihn ein Regenschauer. Niemand fliegt ihm Regen, aber Hyponomi flog und versuchte nicht daran zu denken, dass bei Gewitter die Fensterladen zugemacht werden, und dass niemand das Licht anmacht.

    Aber auf dem Heimatdach brannte eine Kerze. Das war der Besitzer, er saß und wartete vor dem offenen Fenster.

    Hyponomi kehrte nach Hause als ein grauer, nasser, zerlumpter Vogel zurück und setzte sich auf die Fensterbank.

    Der Besitzer hat ihn natürlich wiedererkannt.

    „Das bin ich“, sagte Hyponomi.

    Aber der Besitzer sagte nichts, er ist nur aufgestanden, hat das Fenster zugemacht, setzte seinen Freund auf seine Schulter und machte sich auf, die leckersten Samenkörner zu holen.

    [36] „Oma, ich habe zwei Wunder erkannt!“, rief Anna aus, sobald Oma zu Ende erzählt hatte.

    „Welche denn?“, lächelte die Großmutter.

    „Das Erste – dass der Besitzer die ganze Zeit gewartet hat!“

    „Und das Zweite?“

    „Dass er sich entschlossen hat und sogar und dem Regen flog.“

    „Siehst du, dieses Wunder hat er selbst vollbracht. Denn unser Herr wartet auf uns immer, wir müssen nur zurückkehren wollen. Du hast heute auch ein solches Wunder vollbacht.“

    „Oma, du hat doch versprochen, dass du nicht über mich erzählen wirst!“

    „Gut, gut, werde ich nicht!“

    [37] Fünfter, letzter Abend. Das wichtigste Wunder.

    Das war ein wundersamer Tag: äußerlich gewöhnlich, wie alle anderen. Aber in ihm – ein Geheimnis.

    „Die Passanten, die heute auf der Straße gehen“, dachte Anna nach, „schauen alle gleich aus. Aber unter ihnen gibt es welche, die nach oben schauen: ist der erste Stern aufgegangen? Und jemand wartet ungeduldig auf den Abendgottesdienst, während er in der Stadt unter tausenden solcher Menschen daher geht.“

    Es war der Morgen des Heiligen Abends. Anna saß, schaute aus dem Fenster auf die Schneehaufen, dachte nach und versuchte sich vorzustellen, was in der Stadt vor sich ging.

    Oma erzählt heute nichts, sondern wartete selbst: unauffällig schaute sie immer wieder durch die Brille aus dem Fenster hinaus.

    Als die Dämmerung kam, brannte der lang erwartete erste Stern auf und erstrahlte auf dem Dunklem klaren Himmel hell leuchtend!

    Dann beteten sie zusammen mit Oma, und Anne bemühte sich, denn sie wollten mit Oma zu dem Nachtgottesdienst gehen und bereiteten sich auf die Kommunion vor.

    Und endlich, sie gehen im Dunkeln zu der Kirche. Der Schnee knistert unter ihren Füßen. Der Stern erleuchtet den Weg, und die vom Schnee bedeckten Bäume warten wie in einem Märchen auf das Wunder.

    Anne stand die Beichte bevor, und sie bereiteten sich noch am Mittag zusammen mit Oma vor. Es hat sich herausgestellt, dass Anna – gar nicht heilig war.

    [38] Nur sollte man nicht verzagen, wenn du alles verstehst und es mit ganzem Herzen berichtigen willst.

    So war er, dieser glückliche Tag.

    Die Kerzen brannten hell, und noch heller, voll Freude, schienen die Gesichter der Menschen in der Kirche.

    Nach dem Gottesdienst gingen sie mit Oma auf dem Weg zurück nach Hause, und die Sterne lächelten ihnen zu. Und der Schnee knisterte unter den Füßen leise. Auf dem Herzen war es so freudig, dass Anna dachte: „Wahrscheinlich ist das – Glück!“

    „Oma, heute ist das wichtigste Wunder“, sagte sie.

    „Ja“, antwortete Oma, „denn Gott selbst ist mit uns.“

    „Ist Er immer mit uns?“

    „Immer, wenn wir nur nicht zu heilig sind!“

    Und sie lachten.

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    Marina Aljoschina

    Ein wirkliches Wunder – Omas Geschichten zu Weihnachten

    Künstler Elena Hismatova

    Moskau 2011

    Pfarrei der Niederkunft des Heiligen Geistes auf dem Lazarewsky-Friedhof

    ©Aljoschina Marina, Text. 2009

    ©Hismatova Elena, Illustrationen. 2009

    ©Gestaltung, Layout. Pfarrei der Niederkunft des Heiligen Geistes auf dem Lazarewsky-Friedhof. Moskauer Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche. 2009

    Erster Abend – Schenke mir einen Stern!

    Zweiter Abend – Die Blüte am Kaktus

    Dritter Abend – Brich durch zur Sonne!

    Vierter Abend – Kehr zurück!

    Fünfter, letzter Abend – Das wichtigste Wunder

  5. Gregors Kindheit verlief im Heimatdorf. Dort wuchs er wie alle Bauernkinder fast ohne Aufsicht auf, ähnlich dem, wie aus einem in der Erde verschwundenen Korn eine Ähre aufwächst, die immer höher ragt und stärker wird, bis sie nicht vollständig unter den Sonnenstrahlen gedeiht.

    Niemand lehrte Gregor das Schreiben, nur wenig erklärte man ihm über Gott und sein Glaube entwickelte sich nicht aus Büchern. Doch dieser Glaube war in ihm stark.

    Als in die weite Steppe, welche das Dorf umringte, der glückliche Frühling kam und die aus der Übersehe angeflogenen Vögel ihre Nester unter den Dächern der Bauernhütten flochten, [4] blühte und duftete jeder Grashalm in der Steppe und in den endlosen Wellen des jungen Grases schaukelten grelle Blütenkelche. In diesen Momenten fühlte Gregor unwillkürlich die Kraft des Erschaffers, der jedes Jahr diese im Winter eingefrorene Natur wieder ins Leben rief und unerklärlich für ihn selbst pries seine Seele Gott. Als die Wolken in der Sommerzeit den Himmel umhüllten, die Strahlen der die Erde erhitzenden Sonne verdürsteten und dann die Blitze wie Feuer vom Himmel kamen und in den Höhen der Donner grollte und rollte, fühlte Gregor in dem Gewitter wiederum die Kraft Gottes. Die rhythmische Klänge des Fastengeläuts, die von dem Dorfglockenturm zu hören waren, waren Gregor nicht fremd. Seine Seele antwortete und fühlt auch mit dem festlichen Läuten. Wer weiß, welche Gefühle noch in der einfachen kindlichen Seele entstanden, die der Natur nah war und auch Gott lebendig fühlte.

    [7] Mit etwas 10 Jahren gab Gregors Vater ihn als Hirtenjungen zu einem reichen Landwirt. Der Wirt wies ihn den Schafen zu.

    Eines Tages im Dezember, zu Weihnachten, schickte der Wirt Gregor mit den Schafen in ein 10 Kilometer entlegenes Dorf, in dem Gregor in Herde weidete. Gregor hoffte das Ziel schnell zu erreichen, deswegen nahm er kein Essen mit und kleidete sich auch nicht besonders warm.

    Auf dem Weg erwischte ihn ein Schneegestöber. Beunruhigt schaute der Junge auf die schweren Wolken, die sich im Himmel sammelten, mit Angst hörte er auf das Dröhnen des Windes, der über der Steppe zog und den Schnee aufwirbelte. Die Schafe drückten sich ängstlich zueinander und gingen bedrückt mit einem hängen gelassenen Kopf. Inzwischen wurde der Wind immer stärker, die schweren Wolken verwanden und auf die Erde begann ein endloser dichter Schnee zu fallen. [8] In dem Moment begann in der Dunkelheit ein gewaltiger Schneesturm.

    Wirbelwinde lösten einander ab und drehten den fallenden Schnee. Sie mischten diesen neuen Schnee mit den Klumpen, die der Wind aus dem alten Schnee herausschlug. Mit Kreischen und Pfeifen rollten die scharfen Windstöße, liefen zusammen und wieder auseinander, als ob sie die Erdoberfläche durchbohren wollten. Es schien, als ob es der feiernden Kraft des Winters kein Ende gäbe, und sie alles zuschütten und vereisen wollte. Es war eins dieser Schneegestöber, die über dich Angst bringen, selbst wenn du zuhause hinter warmen und kräftigen Wänden sitzt. Und bewahre Gott einem solchen Sturm von Angesicht zu Angesicht in einem offenen Feld zu begegnen.

    Auf Gregors Seele wurde es graut und schwer. Der Weg verschwand, vor ihm erstreckte sich nun eine einförmige Decke aus weißem endlosen Schnee. Aber auch diese war wegen dem Sturm nur schwer zu erkennen. [9] Es gab niemanden, den er hätte rufen können. Gregor verstand, dass er vom Weg abgekommen ist, und dass sein Ende nahe kommt. Solange er Kraft hatte ging er seinen Schafen nach. Dabei bewegte er seine Beine mit großer Mühe durch den hohen Schnee und stolperte.

    Aber diese gingen dahin, wohin sie der Wind trieb, und in dem wirbelnden Sturm wirbelten auch sie mit ihrem Hirten in den drohenden Schneewellen umher.

    Gregor weinte und schrie nicht, geduldig wartete er auf das Ende des Schneesturms. In dem Moment erinnerte er sich, wie er über diese Steppe ging, als die lila Glockenblumen ihm von hohen Stielen zunickten, und die Lerchen im Flug über der Erde sangen. Die gnadenreiche Wärme Gottes zwang alles zu blühen und fröhlich zu sein. Und es tat ihm Leid, in diesem erbarmungslosem Schneesturm kurz vor Weihnachten zu sterben, und seine Seele erinnerte sich an Gott, und er dachte sich, dass Gott in retten kann.

    [10] Kaum erinnerte sich Gregor an Gottes Kraft, so stieß er auf ein Hindernis. Das war ein großer Haufen Heu, und in ihm eine Vertiefung. Dort versteckte er sich. In dieser Höhle kam der Junge nach dem ermüdendem Weg und dem Wind etwas zu sich. Nach dem Ausruhen rief er seine Schafe zu sich und gab ihnen etwas Heu zum Futter. Die Schafe umzingelten ihn gehorsam und begannen das dürftige Futter zu essen.

    Doch der Sturm wurde in der Zeit noch heftiger. Ganz bestimmte wollte er diese ganze Steppe von ihrem Platz herausreißen und irgendwo anders wegschmeißen. Sein schrilles Gelächter wurde immer unheilverkündender. Es schien, als ob der Heuhaufen, der Gregor beherbergte, bald in allen Himmelsrichtungen davongetragen werde würde. Der arme Junge hatte angst, schutzlos zu bleiben.

    Aber die Schafe, die Gregor während seines Unglücks nicht vergessen hatte zu füttern, halfen ihm nun selbst. Sie setzten sich um den Heuschober und hielten ihn zusammen. [12] Dann legten sie sich um ihren Hirten, drückten sich an ihn, wärmten ihn mit ihrer Körperwärme und hielten durch ihren Atem das Leben in seinem vereisten Leib. Zärtlich leckten sie sein Gesicht und seine Hände, als ob sie ihn trösteten wollten. Durch diese Zärtlichkeiten schlief das unglückliche Kind ein und träumte von seiner Heimathütte, von seiner Familie…

    Das Erwachen war furchtbar. Der Sturm blies immer noch, die von dem Schneegestöber verdürsteten Sonnenstrahlen schienen trüb auf den bedauernswerten Heuhaufen, die Schafe und den Jungen.

    Der ganze Tag verging in dieser schwierigen Lage. Genauso wie am Vortag fütterte Gregor die Schafe mit Heu, und sie liebkosten und wärmten ihn.

    Betrübt hörte der Junge auf die das Heulen des Sturms und auf das langgezogene Leuten, das ihn aus zwei Nachbardörfern erreichte. [15] Dort bereiteten sich die Menschen auf das große Fest der Geburt Christi vor. Doch Gregor schien es, als ob über ihm Totenglocken läuten würden.

    Es kam die nächste bedrohliche Nacht, die Kräfte verließen den Jungen, denn er war bereits eine sehr lange Zeit ohne Nahrung gewesen. Kaum konnte er den Schafen Heu geben. Der Tod war nahe. Von Zeit zu Zeit verfiel er sogar in einen Dämmerzustand. Noch einmal gedachte er Gottes Namen, und sagte zu sich selbst, dass es keine Hoffnung mehr gibt, dass nach dem Abschied von der Heimatsteppe er ohne Murren gehorsam auf sein Ende warten würde. Das Leben verging.

    Auf einmal kam er zu sich und sah ganz deutlich einen alten Mann, der zu ihm sagte: „Gregor, steh auf, geh zum Weg, dort warten Menschen. Sie werden dich mitnehmen!“

    Mit den letzten Kräften erhob sich der Junge auf seine Beine und schleppte sich los. Obwohl sich das Schneegestöber beruhigt hatte, war es unbeschreiblich schwer, durch den Schnee zu gehen. Gregor war bereit hinzufallen. In seinen Augen wurde es dunkel.

    [15] Gleich ist alles vorbei. In dem Moment huschte vor ihm die bekannte Silhouette seine Vaters. Er stand hier, in der Nähe, in diesem Schnee.

    „Papa!“, schrie der Junge vor dieser letzten vertrauten Erscheinung leise auf und fiel um.

    Aber Gregor war gerettet.

    Sein Vater hat ihn gesucht, und fand ihn in dem Moment, als er in den Schnee umfiel.

    Wer war dieser Starez, der durch seine wundersame Erscheinung den Jungen von einem elend Tod an diesem Heiligen Abend rettete?

    Wunderbar sind die Werke Gottes, über der menschlichen Vernunft die Wege seiner Vorsehung. Und manchmal bleiben die Heiligen Gottes unbekannt, durch die Gott den Menschen hilft.

    Moskau, 2010. Pfarrei der Niederkunft des Heiligen Geistes auf dem Lazarewsky-Friedhof

    Autor: E. Poselanin

    Illustrationen: A. Horoschawin

    [3] Bete, Kind, dir vernimmt der Schöpfer der zahllosen Welten.

    I. Nikitin

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